„Dezent asozial“

Die Jugendtheatergruppe des Theaters ohne Namen führt „hell erzählen“ auf.

Das Theater ohne Namen aus Hellersdorf ist der Überraschungsgast des Theatertreffens der Jugend


Von Marie-Thérèse Harasim, 23 Jahre


Als eine von acht Theatergruppen  zum Berliner Theatertreffen der Jugend eingeladen zu werden, gilt als eine der größten Auszeichnungen in der jungen Theaterszene Deutschlands. Es ist das, worauf 102 Jugendensembles aus ganz Deutschland gehofft haben, die sich am Bundeswettbewerb der Berliner Festspiele beteiligten, um sich für die Teilnahme zu qualifizieren.

Neben Gruppen, die schon sehr erfolgreich sind, wie der des Theaters an der Parkaue und dem Jungen Schauspielhaus Düsseldorf, wird bei dem Treffen, das gestern begann und bis 1. Juni im Haus der Berliner Festspiele stattfindet, in diesem Jahr auch ein Überraschungssieger auftreten: Die Freie Jugendtheatergruppe Hellersdorf des Theaters o.N., die ihre Eigenproduktion „hell erzählen“ auf die Bühne bringt, ist anders. Die acht Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 16 Jahren haben normalerweise andere Probleme als den Probenmarathon oder Stress unter den Ensemblemitgliedern.

Sie kommen aus einem Bezirk, in dem ein Großteil der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt, in dem die Kinderarmut hoch ist, Schulabschlüsse an manchen Schulen fast etwas Besonderes sind und viele Frauen schon in sehr jungen Jahren Kinder bekommen. Mehrere der Ensemblemitglieder wohnen in betreuten Wohngemeinschaften.

Unter der Leitung von Regisseurin Cindy Ehrlichmann und Dramaturgin Dagmar Domrös probten die Jugendlichen seit September im Rahmen des Projektes „Über den Kiezrand hinaus“ im Theater ohne Namen in der Kollwitzstraße. Das Projekt richtet sich an Jugendliche, die in bildungsfernen Schichten aufwachsen. Einmal in der Woche redeten sie über das, was sie bewegt, schrieben Geschichten und Texte, fertigten Kostüme an und machten Musik. In ihrer Produktion geht es um ihr Leben oder das eines anderen, so genau wissen das weder Regisseurin noch Dramaturgin. Die Jugendlichen sprechen von Familie und Werten, der Erfahrung des Älterwerdens, des Nicht-mehr-Kind-Seins, der ersten Liebe, Gewalt, der Alkoholsucht von Eltern und dem Wohnen im Heim.

So bekommt der Zuschauer einen kurzen Einblick in die Welt der Jugendlichen in einem Problembezirk. Das Stück zoomt sozusagen auf Fenster und Türen, die Geschichten dahinter werden erzählt, dann schließen sie sich wieder. Die Jugendlichen beschreiben ihren Stadtteil schonungslos: „Vielleicht nicht der schlimmste Bezirk, aber schon Ghetto – dezent asozial halt“, lautet ein Zitat aus „hell erzählen“.

Außer der Gruppe des Theaters 
o.N. werden in den acht Tagen des Treffens auch die sieben anderen Gewinner jeweils einmal auf der Bühne stehen. „Dieses Jahr gibt es relativ viele politische Stücke und Eigenproduktionen“, sagt Festivalleiterin Christina Schulz. Auch das Altersspektrum der Jugendlichen sei groß. 
Für die Freie Theatergruppe aus Hellersdorf gibt es indes noch eine größere Auszeichnung als die Einladung zum Theatertreffen: Zu der Vorstellung ihres Stücks werden auch ihre Eltern kommen.

Das könnte Dich auch interessieren