Der Pitbull und die Oma im Wolfspelz

Daniel Wagner (rechts) mit charmantem Wolf und doofem Rotkäppchen. (Foto: Klaus Zinnecker)

Bei den diesjährigen Gewinnern des IKARUS für junge Theaterstücke sind die Tiere los


Man muss sich nicht immer für entweder oder entscheiden. Die Jury des IKARUS 2010 befand zur Preisverleihung am 8. Oktober im Atze Musiktheater, dass der Preis dieses Jahr erstmalig an zwei besonders gelungene Theaterproduktionen für Kinder und Jugendliche gehen muss: an das Theater auf der Zitadelle mit „Das Rotkäppchen“ und die Neuköllner Oper mit „Stadt der Hunde“ – in beiden Stücken sind die wilden Tiere los.


Da steht es auf der Bühne, das kleine Rotkäppchen. Helene Kappstrudel mit Namen und vom Charakter „schön doof und naiv,“ befindet Puppenspieler Daniel Wagner. „Die hat keine Angst, der passiert nix,“ sagt er. In seiner Version des Grimm’schen Märchens werden bisher unveröffentlichte Szenen gezeigt. Etwa aus dem Magen des Wolfes. Dort trifft Rotkäppchen im schummrigen Licht ihre Oma und fragt sich, wieso diese sie gefressen hat und jetzt mit ihr im selben Magen hockt. Bevor sie sich einen Reim darauf machen kann, hat der Jäger beide schon befreit.


Daniel Wagner erzählt das Märchen neu aus der Sicht dieses stotternden Jägers. Seine persönliche Lieblingsfigur ist aber ein anderer: „Der Wolf ist eine geile Figur, der spielt sich von selbst.“ Daniel Wagner leiht auch allen anderen Figuren seine Stimme: zuckersüß beim Rotkäppchen, schrullig alt bei der Oma und wie ein Sägebrett beim Wolf, der in dieser Version fast zu charmant ist, um böse zu sein.


Um Wölfe geht es auch beim zweiten Preisträger im weitesten Sinne – der Pitbull Nero sieht sich selbst eher als Schaf im Wolfspelz. In der Oper „Stadt der Hunde“, die Sinem Altan für die Neuköllner Oper komponierte, wird die Welt aus der Sicht dreier Vierbeiner gezeigt. So beobachtet die Möpsin Dilara am liebsten die Schuhe der Vorbeiziehenden. Ihr bleibt im Moment auch nichts anderes übrig, ihr geliebtes Herrchen hat sie an eine Straßenlampe angekettet ausgesetzt. Dort trifft sie Nero, der auf den Neuköllner Straßen sein Revier markiert, und den Schäferhund Schäfer, der über Recht und Ordnung im Kiez wacht.


Die Themen, die sich aus dem Zusammentreffen dieses ungewöhnlichen Rudels ergeben, ähneln denen der Zweibeiner gewaltig. Es geht etwa um den perfekten Anmach-Spruch, enttäuschte Gefühle und die Unlust am Gehorchen. Ständig Stöckchen holen – das hält kein Königspudel auf Dauer aus. Und wer sich dann fragt, was eigentlich den Vier- vom Zweibeiner unterscheidet, dem wird die Antwort mit auf den Weg gegeben: „Ein Mensch ist eben nur ein halber Hund.“


Seit 2002 vergibt der JugendKulturService den IKARUS für junge Theaterproduktionen, die ohne Angst vorm Absturz Ungewöhnliches ausprobieren – alte Geschichten neu erzählen oder über etwas berichten, zu dem sonst geschwiegen wird. Noch bis zum 22. Oktober werden im Rahmen der Wochen des Ikarus die insgesamt acht für den Preis nominierten Stücke gezeigt. Das ganze Programm findet ihr unter www.jugendkulturservice.de


(Katrin Gottschalk)

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