„So verwöhnt“


Jugendreporterin Lena war in Paraguay und hadert mit dem Bild, das dort von der deutschen Jugend vorherrscht


Marie-Lena Hutfils, 18 Jahre


Weißt du, die deutschen Jugendlichen haben einfach alles. Da gibt es nichts, was sie verändern wollen, wofür sie kämpfen müssen, nichts, wofür sie sich noch interessieren“, sagt meine paraguayische Gastmutter zu ihrer Tochter und legt dabei in jedes Wort etwas von ihrem südamerikanischen Pathos. „Wir haben noch Ziele. Wir wollen unser Land besser machen. Die deutschen jungen Leute sind so verwöhnt.“


Der Blick meiner Gastschwester Ana wandert zu ihrer Mutter. Diese nickt, um sich selbst noch einmal zu bestätigen, und starrt weiter auf die paraguayanische Straße, während sie den Gang wechselt.


Ob sie ihre Ansichten über deutsche Jugendliche auch auf mich bezieht, geht es mir durch den Kopf. Glaubt sie vielleicht, mein Spanisch sei noch nicht gut genug, um ihre Anschuldigungen zu verstehen?


Schließlich gibt sie zu, dass es unter den deutschen Jugendlichen bestimmt auch Ausnahmen gibt, junge Menschen, die sich – wenn schon nicht für das eigene Land – für die Welt interessieren, andere Länder bereisen, fremde Sprachen lernen. Na gut, mich scheint sie also zu den Ausnahmen zu zählen. Trotzdem bin ich geschockt. So werden wir deutschen Jugendlichen im Ausland wahrgenommen? Oder zumindest hier, in Paraguay, von einer Mutter und ihrer 17-jährigen Tochter, die bei jeder Aussage eifrig zustimmt.


Natürlich ist für uns in Deutschland vieles einfacher als anderswo. Es gibt keine sonderlich korrupte Regierung, gegen die es zu kämpfen gilt, keine Polizei, die mehr auf Bestechungsgelder aus ist als auf Gerechtigkeit, und es droht auch nur im extremsten Fall der Hungerstod, wenn jemand arbeitslos wird und keine Familie hat, die dann für ihn sorgt. Doch das soll etwas sein, wofür wir uns schämen müssen?


Wo stecken die Kämpfer?


Auch in Deutschland oder Europa gibt es genug Dinge, die sich verändern sollten und müssten. Genug Gründe, um zu kämpfen. Sicher, nur wenige tun es. Aber ist das in Paraguay anders? Wo stecken sie denn, die Kämpfer für das Bessere? Während meiner Zeit dort ist mir jedenfalls genauso wenig einer unter die Augen gekommen wie in Deutschland. In jedem Land gibt es Engagierte und andere, die sich eher um sich selbst kümmern. In Deutschland genauso wie im weit entfernten Lateinamerika.


Ist die Kritik meiner Gastmutter an der deutschen Jugend nicht ein wenig kurzsichtig? Meine Gastschwester etwa will zwar tatsächlich vieles in ihrem Land verändern, aber übers Meckern und Kritisieren kommt auch sie nicht hinaus. Und kritisieren – ja, das können auch wir Deutschen gut.


Ich lehne mich tiefer in meinen Sitz und schaue aus dem Fenster. Wir haben es in einigen Punkten vielleicht einfacher, aber auch hier gibt es Probleme und Zukunftssorgen. Sorgen sind relativ. Auch wir haben längst nicht „einfach alles“. Und für unsere besseren Ausgangssituationen müssen wir uns nicht entschuldigen. Wir sollten sie vielleicht nur besser nutzen.

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