Das Bundesverfassungsgericht sieht bei der Auswahl von Medizinstudierenden das Grundgesetz verletzt. Das Urteil ist das erste seit langem, das an den festgefahrenen Strukturen im Hochschulbetrieb rüttelt – und löst hoffentlich mehr Umdenken aus.
Im ersten Moment ist die Entscheidung aus Karlsruhe kaum zu glauben: Das bisherige Vergabeverfahren für Medizinstudienplätze ist zum Teil verfassungswidrig. Bürokratische Strukturen sind doch beliebt, am besten jahrzehntelang erprobt und dann in Beton gegossen. Genügend Studienplätze gibt es ohnehin nicht und irgendwie muss ja ausgesiebt werden. Aber eben nicht „irgendwie“. Bisher werden 20 Prozent der verfügbaren Plätze über die Abiturbestenquote vergeben, ebenso viele über Wartesemester. Für die übrigen 60 Prozent greift ein Auswahlverfahren der Hochschulen. Dieses Schema ist zwar nicht falsch, aber an der Umsetzung hakt es. So schließt das Bundesverfassungsgericht, das Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot und damit die Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit sei gefährdet.
Endlich werden Dinge in Frage gestellt
Mit diesem Urteil bekommen die absurd klingenden Horrorgeschichten verzweifelter Bewerber endlich auch rechtlich Boden unter den Füßen. Zwar haben die Richter den gefürchteten Numerus Clausus nicht grundsätzlich gekippt. Auch in Zukunft wird nur ein Bruchteil der Interessierten tatsächlich mal im Hörsaal einer medizinischen Fakultät sitzen. Aber endlich werden Dinge in Frage gestellt. Allen voran die sogenannte Ortspräferenz. Für Medizin bewerben sich angehende Studierende zentral und können eine begrenzte Anzahl an Wunschorten angeben. Nur dort werden sie im Zulassungsverfahren berücksichtigt. Das Gericht kritisiert, dass gute Noten dadurch entwertet würden und die Ortswahl nichts über die Eignung zum Studium aussage. Gleichzeitig soll ein guter Abiturschnitt nicht das einzige Auswahlkriterium sein. In die hochschuleigenen Verfahren fließt häufig ebenfalls die Abschlussnote ein, sodass im Endeffekt viel mehr als 20 Prozent der Plätze an die besten Absolventen gehen. Darin sehen die Richter Nachteile je nach Bundesland, in dem das Abitur gemacht wurde. Deswegen müssen Hochschulen bald zwingend ein nicht notenbasiertes Eignungskriterium berücksichtigen.
Auswahlverfahren kaum vergleichbar
Die Entscheidung könnte Signalwirkung haben. Sätze wie „Die Abiturnote sagt nicht aus, ob jemand ein guter Arzt ist“ lassen sich auch auf andere Berufe übertragen. Dass das Auswahlverfahren für zulassungsbeschränkte Studiengänge sehr stark auf Schulnoten basiert und zudem sehr, sehr unterschiedlich aussieht, ist ein generelles Problem. Einige Hochschulen veranstalten Assessment Center, bei anderen muss man nur ein Online-Formular ausfüllen. Auch klar ist, dass es an beliebten Studienorten selbst mit guten Noten immer schwer ist, in seinem Wunschfach zugelassen zu werden. Die verpflichtende Anwendung von Eignungstests oder Auswahlgesprächen wäre daher in viel mehr Studiengängen sinnvoll. Und dann könnte man eigentlich mal fragen, warum Abiturdurchschnittsnoten so wenig vergleichbar sind, dass es Ausgleichmechanismen braucht und warum trotz eindeutigen Bedarfs nicht mehr Studienplätze geschaffen werden.