Die Abgeordneten des Bundestages
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Jung und in der Politik: Ich war Dori im Haifischbecken

Unsere Jugendredakteurin Jessica wollte in die Politik, um die Welt zu verbessern. Die Enttäuschung war groß, als sie sich in einem Aquarium voller Haie wiederfand. Ein Kommentar.

Von Jessica Schattenberg, 18 Jahre

Du bist jung und dynamisch und willst die Welt verändern – zum Guten natürlich. Du hast genaue Vorstellungen, was falsch läuft und was wie besser laufen sollte. Deine Stimme gehört gehört. Deshalb gehst du in die Politik, den Ursprung allen Wandels. Dieser Gedanke kam dir bereits? Dann lass dir dabei eines gesagt sein: Die Politik ist ein Aquarium.

„Entweder du blubberst und würdest am liebsten Haifischsuppe kochen oder du mutierst zu einer Koralle und akzeptierst all das.“

Zu Beginn bist du Nemo mit dem Drang zur Aufmüpfigkeit. Doch das vergeht – und du lernst, dass es in den Organisationen statt um Inhalt mehr um Kontakte zu anderen Fischen geht, besonders zu den Haien, die ganz weit oben stehen. Wo du herumschwimmst, gibt es die aber nicht. Hier sind die Goldfischchen, die über Politik schnacken wollen, ihre Meinung jedoch vielleicht erst finden. Dann gibt es die Karpfen, die Ruhe selbst, deren ausgestoßene Luftblasen unheimlich wert und gehaltvoll sind. Aber die wollen gar nicht zu den Haien. Karpfen sind cool. Und dann sind da noch Piranhas und ihr Ziel: Hai im Bundestag oder Landtag zu werden. Und dafür werden die Zähne geschärft.

Jetzt muss Nemo überlegen, welcher Fisch er sein will. Wenn du es dann aber geschafft hast und in den großen Gremien sitzt, die die weltverändernden Entscheidungen treffen, dann sitzt du da. Den gesamten Tag. Und hörst Fischen zu, die sich selbst gerne reden hören. Das reicht von Guppy bis Piranha. Manchmal gibst du deine Meinung dazu, manchmal kümmerst du dich um die reinen Formalien – doch vor allem sitzt du auf deinen vier Buchstaben. Und dann gibt es genau zwei Varianten für deinen inneren Gemütszustand: Entweder du blubberst und würdest am liebsten Haifischsuppe kochen, weil die gefällten Entscheidungen deiner Meinung absolut widersprechen, oder du mutierst zu einer Koralle und akzeptierst all das, weil in einer Demokratie alle und wieder keiner genau entscheidet und du heute eben nicht auf der Gewinnerseite schwimmst.

„Einzig geblieben ist der Heißhunger auf Sushi.“

Die Jahre vergehen und du wirst zum Oktopus, der mit allen acht Tentakeln an seinem Posten klammert und an jeder Strömung unter Wasser gefährliche Killerquallen postiert, damit Energiebündel Klein-Nemo ja nicht in Versuchung kommt, das zu gefährden. Nur brave, treue Nachwuchs-Oktopusse dürfen in die Nähe.

Ist es das wert? Ich war einmal ein Nemo. Doch das Aquarium wurde mir einfach zu viel. Zu viel Geblubber. Und so wurde ich zu Dori, die sich von der Strömung wegtragen lässt und vergisst. Einzig geblieben ist der Heißhunger auf Sushi.

Foto: Rainer Jensen/dpa

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Kategorien Klartext Mitmischen Politik

Statt Netflix verfolge ich Konzerte. Ich (20 Jahre) brauche keine Sojamilch, sondern guten Kaffee. Mein Yoga ist es, auf viel zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Dabei ist der Eisbär mein Patronus, den meine Eltern mir mit sieben Jahren einfach nicht als Haustier erlaubten. Aber wenn eine Idee von der Außenwelt für verrückt erklärt wird, dann muss sie erst recht verwirklicht werden, und eben jene Personen mit Mut und außergewöhnlichen Gedanken sind es, von denen die Welt wissen sollte. Was kann ich da sinnvolleres tun, als für Spreewild zu schreiben? Die Verhandlungen um den Eisbären laufen jedenfalls weiter.