Crowd at an outdoor music festival with outstretched arms
Klartext

Egal wie gut die Laune ist: Sexismus ist nirgendwo cool – auch nicht auf Festivals

Auf Festivals herrscht eine einmalige Stimmung – und das ist auch gut so. Doch leider wird das schlammige Campinggelände immer wieder zum Nährboden für sexistische Übergriffe. Ein Kommentar.

Vertraute, geliebte Bilder: Festivalisten springen in Ganzkörperkostümen durch den Matsch, bemalen und bekleben sich mit temporären Tattoos und Glitzerschminke. An diesem besonderen Ort sind Albernheiten erlaubt, sogar erwünscht, die wir uns im Alltag nicht genehmigen. Über die optische Komponente hinaus herrscht ein spezieller zwischenmenschlicher Spirit. Wir kommen mit wildfremden Leuten ins Gespräch, hilfsbereite Unbekannte teilen Wasser, Kaugummis, Sonnencreme und Körperbemalung mit uns. Oder aber: ihre anzügliche Meinung zu unserer Optik. Spontane Gelüste mit Promillewert.

„Verbale Gewalt gegen Frauen äußert sich aus so manchem Campingstuhl.“

Es ist die negative Seite der geliehenen Freiheit. Oft wird das schlammige Campinggelände zum Nährboden für sexistische Übergriffe. Ja, ich sage das bewusst: Übergriff. Denn dieser hat nicht unbedingt etwas mit Greifen zu tun, sondern fängt schon bei vermeintlich saloppen Bemerkungen an. Verbale Gewalt gegen Frauen äußert sich aus so manchem Campingstuhl: „Ey, kannst du mir einen Gefallen tun? Zeig mal deine Brüste!“ Rotzbesoffene Typen spannen Stolperfallen aus Absperrband über die Trampelpfade und fordern einen Wegzoll, der ihnen ganz sicher nicht zusteht. Die Macho-Tour im Matsch wirkt auf die meisten weiblichen Besucherinnen enervierend und sorgt durch ihre Häufigkeit für eine Atmosphäre, die mehr als unangenehm ist.

Von wegen „Jetzt hab dich doch nicht so!“: Ungewollte Annäherungsversuche sind nie witzig, nie nur ein Spaß.

Aber ein Nein wird nicht akzeptiert. Denn schließlich sind wir auf einem Festival, ist doch also alles nur Spaß. Erwünscht ist ein weiter Ausschnitt, keine enge Moral. Angefeuert vom bereits rotgesichtigen, lallenden Rudel geht die Schikane weiter. Und reicht von Sexfantasien, deren unfreiwillige Protagonistin man wird, bis zu schwankenden Annäherungsversuchen, bei denen einem die Fahne aus Dosenbier und billigem Kräuterschnaps direkt ins Gesicht weht. Angewiderte, teils noch freundliche Zurückweisung wird mit Unverständnis quittiert. – „Jetzt hab dich doch nicht so!“

Es ist das alte Spiel. Wir Frauen sollen uns „zusammenreißen“. Ist ja nur lustig gemeint. Und wer den Kuss auf die Wange verweigert, den gelangweilte Männer-Cliquen in Konzertpausen bei ihren Wetten zu sammeln versuchen, ist eben verklemmt. Sicher steckt hinter vielem keine allzu böse Intention. Solche Aktionen sorgen jedoch für Unbehagen und sind in einer bunten Parallelwelt trotzdem Ausdruck verinnerlichter Machtstrukturen. Oder wird am Montag etwa der Respekt-Schalter wieder angeknipst? Daran glaubt ihr doch wohl selbst nicht. Egal wie gut die Laune, wie groß die Langeweile, wie hoch der Pegel ist – Sexismus ist nirgendwo cool. Auch nicht auf einem Festival.

Foto: photographyfirm/Fotolia

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Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.