Klartext

Nicht gleich die Frühlingsgefühle steinigen

Kaum lässt sich die Sonne blicken, mutieren die einen zum Frühlings-Grinch und die anderen sind plötzlich schwer verliebt. Mara wünschte, alle bekämen ihre Launen mal besser in den Griff. Ein Kommentar.

Keine Jahreszeit lässt sich so deutlich an den Gemütern der Menschen ablesen wie der Frühling. Trotzdem wundert es mich, dass ich mir vom Wetter meine Laune aufschwatzen lasse und seit den ersten warmen Tagen Ende Februar tatsächlich zarte Frühlingsgefühle hege. Immerhin scheine ich nicht die Einzige zu sein.

Alle Jahre wieder teilt sich im Frühjahr die Bevölkerung in zwei Gruppen. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen ihren neuen Partner vorstellen und gefühlsmäßig aufblühen wie junge Tulpen. Ich leugne nicht, dass auch ich das schon fertiggebracht habe. Auf der anderen Seite gibt es die, die ab Valentinstag Steine, die der ­schmelzende Schnee zum Vorschein bringt, sammeln und damit bis Ende Mai glückliche Pärchen bewerfen. Auch was das angeht, bekenne ich mich schuldig – natürlich im übertragenen Sinne. Es scheint, als müsse man sich entscheiden: Entweder bist du die Kitschbombe, die dauergrinsend zu „Pocketful of Sunshine“ durch den Park tanzt, oder du sitzt gefälligst in deinem chaotischen Zimmer und performst deine beste „All by Myself“-Bridget-Jones-Imitation.

Rein biologisch betrachtet haben beide Formen ihre Existenzberechtigung. Während die eine Hälfte noch halb im Winterschlaf hängt und mit einem Melatonin-Überschuss zu kämpfen hat, ist die andere bereits von der Sonne elektrisiert und weiß kaum, was sie mit der ganzen Energie anfangen soll. Mehr Sport, mehr Dates, Ernährung umstellen, Frühjahrsputz? Sogar mein morgenmuffeliger Mitbewohner wollte letztens pünktlich um neun mit uns frühstücken. Und auch wenn ich ansonsten natürlich eine unabhängige Frau bin, muss ich zugeben, dass die Sonne mich überredet hat und ich mich der allgemein guten Laune langsam anpasse.

Die eigentliche Lösung ist wohl, das ganze binäre Frühlingssystem nicht mehr so ernst zu nehmen und nicht zu übertreiben. Mein Zimmer zum Beispiel ist immer noch dezent staubig, zu Dates gehe ich grundsätzlich nicht und Sport heißt bei mir eher, dass ich mich nach dem Auf­stehen und vor dem Schlafengehen dehne und ein paar jämmerliche Sit-ups hinterherschiebe. Dafür schnippele ich morgens summend mein veganes Obst-Müsli zurecht und blinzele in der U-Bahn schon ganz gerne mal in die Sonne.

Ist das vielleicht ein Kompromiss, für den ich nicht mit Steinen beworfen ­werde?

Foto: doris oberfrank-list/Fotolia

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