Wie viel ist das Berliner Abitur wert?

Berliner Lehrer würden zu schnell gute Note vergeben, kritisiert Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

Nun forderte er, „anspruchsvolle Bundesländer“, wie Bayern es sei, sollten Abiturzeugnisse „anspruchsloser Bundesländer“ nicht mehr anerkennen. Auch die FDP beklagt, das Leistungsniveau in Berlin sei rapide gesunken. Der Berliner Landesverband reagierte verärgert. Wie stehen Absolventen zu Kraus’ Forderung?

Pro: Ich bin in Bayern zur Schule gegangen und kann Kraus’ Kritik nachvollziehen. Unser Abitur ist schwerer. Das deutete sich schon während der Prüfungsvorbereitung in Mathe an, als wir frühere Aufgaben aus Bayern und Berlin lösen sollten und mir als Rechen-Loserin die Berliner Aufgaben viel leichter fielen. Dass es immer noch unterschiedliche ­Abiturprüfungen gibt, ist nicht gerecht. Wir brauchen ein deutsches Zentralabitur, um die Abschlüsse wirklich vergleichbar zu machen. Der Föderalismus sollte, zumindest was die Abschlussprüfungen in den Schulen angeht, abgeschafft werden. Jugendliche sollten nicht schon mit ungleichen Bedingungen in die Berufsausbildung oder das Studium starten. Ein Schüler aus Bayern möchte genauso gute Chancen auf ein Medizinstudium haben wie ein Berliner Schüler, dem das Abi aus bayerischer Sicht hinterhergeschmissen wird.

Roswitha Engelen, 21 Jahre

Contra: Wochenlang lernte meine Freundin Lisa in ihrem Zimmer, hatte nichts anderes im Kopf als ihre Klausuren. Es kam, wie von den Eltern erwartet: Sie bestand ihr Abi mit 1,0. Aber was nützt ihr jetzt ihr Berliner Durch­schnitt? Als gebürtige Weddingerin kann ich das Argument, die Bewertung der Lehrer sei zu freundlich, nicht nachvollziehen. Berliner Lehrer stammen aus ganz Deutschland und beurteilen ihre Schüler nach deren Leistungen. Schaut man sich die verschiedenen Abiturkomponenten an, fallen Parallelen auf: Abiturienten aus Berlin und Bayern haben drei schriftliche und zwei mündliche Prüfungen. In Berlin besteht eine der mündlichen Prüfungen aus einer eigens erarbeiteten Präsentation – ein kleiner Vorteil, schließlich kann man sich gut vorbereiten. Doch werden hier auch persönliche Kompetenzen zur Selbstständigkeit geprüft. Und ist das nicht wichtiger, als etwas auswendig zu lernen? Vielleicht sollte der aus Bayern stammende Josef Kraus mal von seinem hohen Ross absteigen, denn ein Boykott, wie er ihn fordert, kommt einem Schlag ins Gesicht aller hart lernenden Berliner gleich.

Salonika Hutidi, 19 Jahre