Hilfe, meine Freunde sind zu blöd zum Wählen

Unser Jugendredakteur unterhielt sich vor Kurzem mit seinen Freunden über die Wahl und wen man wohl wählen sollte – und ist noch immer fassungslos. Ein Klartext.

Zu meinem engsten Freundeskreis zähle ich je nach Stimmungslage vier bis fünf Personen. Sie alle sind Anfang zwanzig und aufgewachsen in Berlin.

Als ich vor Kurzem von ihrem politischen Geschmack erfuhr, war ich fassungslos. Drei Freundinnen sind CDU-Wählerinnen, der Wahl-O-Mat legte einer sogar die AfD nahe. Fast noch schlimmer als die Wahlentscheidungen fand ich jedoch die Begründungen dafür: „Die CDU ist eine Partei für Besserverdiener. Und unsere Eltern sind nun mal etwas Besseres“, bekam ich von der einen Seite zu hören. Eine andere Freundin äußerte, ihr gefalle die Stammtischmentalität alter Säcke, sie habe nichts gegen soziale Ungerechtigkeit, lehne eine Reichensteuer ab und wünsche sich amerikanischen Kapitalismus nach Deutschland und Arbeitszwang für Hartz-IV-Empfänger.

Wenn Anfang 20-Jährige, reiseaffine Weltstädterinnen mit sehr gutem Abitur schon jetzt so konservativ sind, reicht das Parteienspektrum doch überhaupt nicht mehr für noch mehr Spießigkeit im Alter oder für andere, die dumm und weltfremd sind.

Um das Wahl-Karma meines Umfelds etwas auszugleichen, versuchte ich, andere Freunde zur Wahl zu animieren. Man sollte meinen, jeder noch so medial abgehängte Einsiedler hätte zumindest dank der zuplakatierten Straßen erfahren, dass wir Berliner am 18. September das Abgeordnetenhaus wählen. Nicht aber meine letzte Freundin. Sie wusste nicht, dass überhaupt gewählt wird, geschweige denn, was und wann. Sie argumentierte, sie kenne sich mit Politik nicht aus, und versuchte sich herauszureden, sie sei am Wahlsonntag unterwegs. Auf die Briefwahloption angesprochen gab sie vor, keine Wahlbenachrichtigung erhalten zu haben. Seit ich sie fragte, ob sie spontan ihren Berliner Hauptwohnsitz verloren habe, herrscht Funkstille.

Mein Freundeskreis gliedert sich also in drei Gruppen: die einen, die so blöd sind, Mitte-rechts zu wählen, die anderen, die noch viel blöder sind und andere für sich wählen lassen, und mich, der diese Missstände aufdeckt und damit selbst am unglücklichsten ist.

Amin Cram bleibt zur Wahrung des Wahlgeheimnisses seiner Freunde lieber in der Anonymität.

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