Aniko wünscht sich einen späteren Schulbeginn während der EM. Foto: Gerd Metzner

Nicht immer nur an das neueste Kleid denken

Aniko Schusterius findet, dass manche Modefragen überbewertet sind.

Ein Freitagmorgen vor eineinhalb Wochen. Ein Tag wie jeder andere, denke ich. Doch ich täusche mich: 9.50 Uhr: Der Unterricht beginnt mit einer Klausur. Nun weiß ich, was ich vergessen habe.

11.20 Uhr: Die große Pause, und mit ihr ein neues Zeitalter, beginnt. Ausnahmsweise entzweit uns nicht die Diskussion über unterschiedliche Klausurantworten. Heute stehen sich Gold- und Schwarzseher gegenüber. Schon beim Betreten der Cafeteria kommt mir aufgeregt eine Freundin entgegen. „Welche Farben hat das Kleid?“, fragt sie und hält mir das Display ihres Handys unter die Nase. Ich frage mich, was das für eine komische Frage ist. Schließlich ist die Antwort eindeutig: „Blauschwarz gestreift natürlich.“ Sie ruft meine Antwort einer Gruppe Klassenkameraden zu, die um einen Tisch sitzen und sofort eine hitzige Diskussion beginnen. Alle anderen sehen ein gold-weiß gestreiftes Kleid. Spätestens jetzt dürfte klar sein, worum es geht: Die Frage, ob ein schlecht fotografiertes Kleid auf einem Internet-Blog schwarz-blau oder weiß-gold ist, beschäftigt plötzlich die ganze Welt, besonders aber die Schulen, an denen fast der Ausnahmezustand herrscht.

11.40 Uhr: Mein Freiblock ist kein Genuß, die Farbe des Kleides beschäftigt alle. „Blau und Schwarz sehen nur die Gestressten“, behauptet jemand. Lehrer werden befragt.

12.50 Uhr: Auf meinem Handy gehen ständig Nachrichten ein. Facebook und WhatsApp sind überlastet.

13.30 Uhr: Meine Freundin Jana meint, gold-weiß und blau-schwarz zu sehen – Chaos bricht aus. Der Lehrplan Physik wird umgeworfen: Einige Schüler versuchen, das Phänomen mit optischen Gesetzen zu erklären.

13.50 Uhr: Informatik: Wir recherchieren im Internet, statt zu programmieren und finden viele Artikel. Selbst Prominente äußern sich. Die Stimmung in der Cafeteria kippt. Die Goldseher geraten in die Unterzahl.

14.30 Uhr: In der Sportumkleide endlich die Nachricht: Das Kleid ist im Original blau-schwarz gestreift. Nur die schlechten Lichtverhältnisse auf dem Bild lassen anderes ahnen. Welten brechen zusammen, triumphierende Blicke treffen auf fassungslose Gesichter. Wenigstens müssen wir jetzt doch nicht mit einem Rugby-Match entscheiden, wer recht hat.

15.20 Uhr: Ich verlasse die Schule. Einer der anstrengendsten Tage seit Langem ist vorüber. Und die Ursache ist nicht die Klausur. Mittlerweile denkt an das Kleid keiner mehr, der Hype war so kurzlebig wie die meisten Moden. Ich frage mich, womit wir uns als Nächstes in der Schule beschäftigen werden. Vielleicht mit etwas Wichtigem?

Von Aniko Schusterius , 18 Jahre

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Kategorien Klartext

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.