Interview

„Der Tag sollte nicht mit Nachrichten anfangen“: Wie ihr Stress effektiv vermeidet

Junge Menschen fühlen sich extrem gestresst. Wir können lernen, damit umzugehen, meint Jacob Drachenberg, zertifizierter Trainer für gesunde Stressbewältigung.  

Fast die Hälfte aller deutschen Schüler leidet unter Stress, wie aus einer aktuellen DAK-Studie hervorgeht. Bei Studierenden ist es nicht besser: Laut einer AOK-Studie sind sie sogar gestresster als Berufstätige. Wir haben den jungen Berliner Psychologen Jacob Drachenberg gefragt, wie Stress überhaupt entsteht und wie wir ihn abwehren können.

Du hast Psychologie an der HU Berlin studiert und bist zertifizierter Trainer für gesunde Stressbewältigung. Warum interessierst du dich so sehr für dieses Thema?
Ich habe neben meinem Studium professionell in der 1. Wasserball-Bundesliga gespielt und noch gearbeitet. Das ging lange gut, doch dann hat mich der große Stress krank gemacht, ich bin in eine tiefe Krise gestürzt. Monatelang ging gar nichts mehr, ich war total ausgebrannt. In der Zeit habe ich gelernt, dass Stressbewältigung ein sehr wichtiges Thema ist. Wir können gesunde Stressbewältigung lernen, wie Schwimmen oder eine Fremdsprache. Meine Leidenschaft für das Thema war geboren. In meiner täglichen Arbeit verbinde ich Leistungssport, Wissenschaft und meine eigenen Erfahrungen.

Ist es genetisch veranlagt, wie wir mit Stress umgehen?
Unsere Gene und die Erziehung prägen uns sehr. Es ist wichtig, ab einem gewissen Alter seinen eigenen Weg zu gehen. Unseren Umgang mit Stress können wir jeden Tag verbessern, da unser Gehirn kein starres System ist. Viel negativer Stress entsteht, wenn wir das Leben nach externen Wünschen ausrichten und unsere eigenen Bedürfnisse vergessen.

Woran liegt es, dass immer mehr Menschen, selbst sehr junge, unter dauerhaften Symptomen von Stress leiden?
Die Wahrnehmung von Stress in der Gesellschaft hat sich erhöht und auch Ärzte und Unternehmen sind sensibler geworden. Im letzten Jahrhundert gab es eigentlich viel größere Stressfaktoren durch Krieg und Hungersnot. Somit sind es vielmehr Luxusprobleme, die wir heute haben, aber Stress fühlt sich trotzdem immer lebensbedrohlich an.

„Man sollte das Handy erst eine halbe Stunde nach dem Aufwachen aus dem Flugmodus holen.“

Welche Rolle spielt unser gestiegener Medienkonsum?
Eine große, weil die Nachrichten einem oft nicht weiterhelfen oder sich nicht beeinflussen lassen. Obwohl das Geschehen nicht in unserem Machtbereich liegt, lassen wir uns davon stressen und fühlen uns verängstigt. Wir müssen entscheiden, was wir an uns heranlassen. Will ich wirklich mit Trumps Aussagen oder Terrornachrichten einschlafen? Das gilt auch für die sozialen Netzwerke. Weil sich jeder auf dieser Bühne präsentieren will, aber nie sein vollständiges Leben zeigt, kommt man schnell ins Vergleichen. Wenn einem das nicht guttut, sollte man radikal auf Social Media verzichten. Aber auch alle anderen sollten das Handy erst eine halbe Stunde nach dem Aufwachen aus dem Flugmodus holen. Der Tag sollte nicht mit Nachrichten anfangen.

Was hilft uns noch, abzuschalten?

  1. Den Kalender nicht nur für Anspannungstermine, sondern auch für Entspannungstermine nutzen.
  2. Es gibt ein Grundrecht auf Entspannung. Nicht nur bei Erfolg.
  3. Stressbewältigung darf Spaß machen – was entspannt mich wirklich und macht mir Spaß?
  4. Entscheiden, ob man übers Smartphone erreichbar sein will.
  5. Sich zum gemeinsamen Entspannen mit Freunden verabreden.

Spielt es auch eine Rolle, ob man in einer Großstadt wie Berlin lebt oder in einem ruhigeren Ort?
Auf dem Dorf wird mehr über einen geredet, wenn es einem nicht gut geht. In der Stadt fällt es niemandem auf, weil man meistens eher anonym ist und nicht unbedingt ein enges soziales Netz wie auf dem Dorf hat. In der Großstadt gibt es wiederum vielfältige Angebote zur Stressbewältigung und zum Stressabbau.

Wie genau hilfst du Menschen, besser mit ihrem Stress klar zu kommen?
Ich habe ein Online-Programm entwickelt, das von allen gesetzlichen deutschen Krankenkassen mit dem Zertifikat „Deutscher Standard Prävention“ ausgezeichnet wurde. Das heißt, die Teilnehmer bekommen die komplette Kursgebühr erstattet. Das Programm ist online sowie offline durchführbar und für alle Altersgruppen geeignet.

„Stress kann dein Freund sein und dir enorm viel Energie geben.“

Welcher Stressfaktor ist eigentlich größer – die Anforderungen anderer Menschen oder die Erwartungen an sich selbst?
Es ist schwer, interne und externe Erwartungen zu trennen, die Schnittmenge ist hoch. 1. Erwartungen wahrnehmen und notieren. 2. Von ungesunden Erwartungen wie Perfektionismus trennen. 3. Alternativen finden wie: Ich gebe mein Bestes und achte auf mich. Auch ruhig mal bei anderen Menschen nachfragen, was sie erwarten. Ganz oft folgen wir Erwartungen, die nie verbalisiert worden sind und vielleicht gar nicht existieren.

Du hast 15 Jahre lang Wasserball gespielt: In der 1. Bundesliga und der U21-Europameisterschaft für Deutschland. Was hat dir der Leistungssport über Stress beigebracht?
Stress kann dein Freund sein und dir enorm viel Energie geben. Jeder Spitzensportler ist dadurch in der Lage im Finale über sich hinauszuwachsen. Stress ist wie Feuer: Er kann dich anspornen, aber auch deine ganze Bude abfackeln. Wichtig ist es, dieses Feuer zu lenken und für sich zu nutzen.

Das Interview führte Viktoria Koch, 22 Jahre

Beitragsfoto: Aron Darmas

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