Culcha Candela vor Berlin-Schriftzug
Culcha Candela feierten den Abschluss ihrer Tour in ihrer Heimat Berlin.
Interview

Culcha Candela: „Handeln ist effektiver als politische Texte“

Neues Album, zweiwöchige Tour – so feierten Culcha Candela ihr 15-jähriges Bandjubiläum. Im Interview verraten Johnny Strange und DJ Chino con Estilo, warum sie noch immer nicht in Schubladen passen, sie sich von politischen Texten verabschiedet haben und AfD-Wähler ihnen zuhören sollten.

Gerade habt ihr zum Abschluss der „Feel Erfolg“-Tour in eurer Heimat Berlin gespielt. Ist die Stadt immer noch „the place to be“ für Musiker?
Johnny: Definitiv, es wird immer krasser. In Berlin tummelt sich alles, international ist hier musikalisch echt viel los.
Chino: Ich glaube auch, dass der grundsätzliche Trend eher nach Berlin geht. Es ist ein superguter Nährboden für Musik und Kultur grundsätzlich und wir haben den Vorteil, dass hier unsere Heimat, unser Ausgangspunkt ist. Wir hätten vermutlich in Deutschland keine andere Base, die ähnlich funktionieren würde.
Johnny: Unsere Musik ist ja auch wie die Stadt: sehr bunt gemischt, viele Einflüsse und im stetigen Wandel.

Tatsächlich habt ihr schon immer viele verschiedene Musikstile und Einflüsse gemixt. Bekommt man in der Musikbranche zu schnell einen Stempel aufgedrückt?
Chino: Das ist ein menschliches Phänomen. Man braucht irgendetwas, womit man Dinge benennen kann. Das war für uns am Anfang ein großes Problem, weil die Leute uns nicht in eine Schublade haben stecken können. Dabei ist es der Traum jedes Musikers, dass man seine eigene Nische kreiert und seinen eigenen Sound definiert. Mittlerweile wissen die Leute, bei Culcha Candela kann alles drin sein, Reggae, Latin, Hip-Hop oder moderne Pop-Musik. Man braucht keinen ganz engen, treffenden Begriff.
Johnny: Wir haben es auf jeden Fall miterlebt, in verschiedenen Szenen zu sein und dann auch nicht mehr zu sein. Aber die Leute, die die Message der Musik verstanden haben, die feiern uns immer noch, egal ob wir jetzt Hip-Hop, Reggae oder Pop machen. Das ist alles, was zählt. Deshalb haben wir auch viele bunte Menschen im Publikum, sowohl vom Alter als auch von der sozialen Richtung. Das ist cool, man hat die ganze Gesellschaft vereint und alle feiern zusammen.

„Wenn unsere Musik einen AfD-Wähler überzeugen kann, dass er das nächste Mal vielleicht doch lieber für Offenheit und ein freundliches, friedliches Miteinander wählt, dann wäre das ein Traum.“

Sind eure Fans in den vergangenen 15 Jahren mitgewachsen?
Chino: Die Struktur der Fans ist auf jeden Fall interessant. Eine Zeit lang, so in der Hochphase nach ‚Monsta’, da war das Publikum sehr jung. Beim Album ‚Flätrate’ waren es wirklich sehr, sehr viele unterschiedliche Menschen und auch viele junge. Das hat sich jetzt wieder ein bisschen gewandelt. Gerade kommen viele Leute, die uns vielleicht vor 10 Jahren schon gehört und jetzt wiederentdeckt haben. Die ganz treuen Fans sind natürlich auch da, also es ist eine wirklich heterogene Masse von Menschen.
Johnny: Es ist witzig, weil jetzt viele dabei waren, die uns schon 10 Jahre oder länger kannten, aber noch nie beim Konzert waren. Einige haben ihre Teenie-Zeit damit erlebt, manche sind noch älter, die kommen dann mit ihren kleinen Kindern. Den Culcha-Fan, kannst du nicht auf irgendetwas festnageln, den kannst du in keine Schublade stecken.

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Von wem würdet ihr euch wünschen, dass er eure Musik hört?
Johnny: Die AfD-Wähler.
Chino: Wir versuchen, den Leuten ein positives Bild von uns zu vermitteln und auch die Angst zu nehmen, wenn irgendwas bunt und fremd und zusammengewürfelt ist. Es ist so gesehen eine Werbetour von uns durch das ganze Land. Wenn Leute, die unserer Meinung sind, unsere Musik hören, dann freut uns das natürlich auch. Aber wenn man jemanden, der eine komplett andere Ausgangsposition hat, wenn man einen AfD-Wähler überzeugen kann, dass er das nächste Mal vielleicht doch lieber für Offenheit und ein freundliches, friedliches Miteinander wählt, dann wäre das ein Traum.

Trotzdem habt ihr selten explizit politische Texte. Vermeidet ihr das absichtlich?
Chino: Ja, kann man schon so sagen. Wir verstehen wir uns als politische Menschen, das lassen wir in Interviews oder über Social Media immer durchblicken, aber wir haben uns davon verabschiedet, das explizit in der Musik zu machen. Wenn du dich so krass positionierst, dann verschmälerst du deine Zielgruppe und sprichst sowieso nur die Leute an, die deiner Meinung sind. Du musst also lieber versuchen, mehr Leute zu erreichen und von denen dann vielleicht einen umzustimmen.
Johnny: Das Verhalten ist ausschlaggebender als das, was du sagst. Viele haben eine krasse politische Meinung, sind für Toleranz und so weiter, aber wenn es dann um andere gesellschaftliche Schichten geht, dann sind sie überhaupt nicht tolerant. Oft ist eine positive Lebenseinstellung effektiver, als ein klar formulierter politischer Standpunkt. Es ist egal, wo du herkommst, aus welcher gesellschaftlichen Schicht oder politischen Gesinnung, wenn du ein guter Mensch bist und cool mit anderen umgehst, dann verhältst du dich auch politisch korrekt und darum geht es. Deswegen haben wir das Handeln mehr in den Vordergrund gestellt, unterstützen viele Projekte, die wir zum Teil auch selber auf die Beine gestellt haben. Das hat sich für uns als effektiver herausgestellt, als konkret politische Texte zu schreiben.

„Wir haben keine Berührungsängste, was Musik angeht.“

Ist das Kritik an andere Künstler, die eher auf politische Texte gehen, sich aber weniger engagieren?
Chino: Ich würde niemandem vorschreiben, wie er seine Texte zu gestalten hat. Aber wenn es darum geht, was jenseits der Musik passiert, ist es tatsächlich manchmal sehr schade, dass viele dieses große Gehör, was ihnen geschenkt wird, nicht nutzen. Es gibt so viele erfolgreiche deutsche Künstler mit Migrationshintergrund, die sich erstaunlich bedeckt halten, wenn es darum geht, Position zu beziehen gegen die AfD oder andere Seiten. Aus Angst seine Hörer zu verlieren hinter den Berg zu halten, finde ich sehr schade. Da gibt es einige Kollegen, wo man sich das wünschen würde. Dass die eine coole Einstellung haben, denke ich schon, aber ich finde, das können sie durchaus mal öffentlich sagen.

Hattet ihr selbst schon einmal das Gefühl, euch verändern zu müssen, um kommerziell erfolgreich zu sein?
Chino: Veränderungen sind bei uns eher natürlich passiert. Mir fällt ein einziger Moment ein, an dem wir bewusst eine Entscheidung getroffen haben. Das war kurz vor ‚Hamma!’, da haben wir uns entschlossen, die Musik, die wir als Singles rausbringen wollen, in einer Sprache zu machen und dann auf Deutsch. Vorher hatten wir immer die Prämisse, so viele Sprachen wie möglich in einem Song zu mischen, haben aber gemerkt, dass das die meisten Zuhörer doch überfordert. Dann haben wir gesagt, diesen Schritt gehen wir auf sie zu und machen es ihnen ein bisschen leichter. ‚Hamma!’ ist der erste ausschließlich deutsche Song gewesen und der war sofort erfolgreich und das Radio ist total drauf eingestiegen. Ansonsten haben wir immer das gemacht, worauf wir in der jeweiligen Phase unseres Schaffens Bock hatten.
Johnny: Wir haben keine Berührungsängste, was Musik angeht, deswegen haben wir uns auch auf viel eingelassen, wo andere Musiker sich nicht hin getraut hätten. Bei manchen Sachen dachten wir danach: ‚Ok, das war vielleicht nicht so cool’, aber man hat es wenigstens versucht, man hat es ausprobiert und weiß, worüber man redet.
Chino: Manche Fehler muss man vielleicht auch machen, um sie danach abzuhaken und zu wissen, was gut für einen ist. Sachen wie den Soundtrack fürs Dschungelcamp würde man heute vielleicht nicht nochmal machen. Aber ich bin auch froh, dass wir diese Erfahrungen auf dem Weg gesammelt haben. Das trägt ja auch dazu bei, wie man heute dasteht.

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Habt ihr jemals überlegt, etwas anderes zu machen, eine Ausbildung oder ein Studium?
Chino: Jeder von uns hat am Anfang des Weges mal etwas anderes angefangen, aber die Musik war bei uns allen eine Leidenschaft. Bei jedem kam dann ein Punkt, an dem man sich entschieden hat, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren. Das Coole ist, dass es so schön geklappt hat, dass wir alle so viele Dinge erlebt, so viele Erfolge mitgenommen haben und alles so organisch gewachsen ist. Es war eine superkrasse Reise bis hier her. Es ist auf jeden Fall ein Geschenk, es ist nicht selbstverständlich.

Ihr feiert 15-jähriges Bandjubiläum. Was sollte sich in 15 Jahren geändert haben?
Johnny: Hoffentlich sind wir dann immer noch so musikliebend. Das Wichtigste ist, dass es nie aufhört, dass man immer jung bleibt.

Kann man mit Musik dann immer noch Geld verdienen? Schon heute läuft vieles über Streaming-Dienste, ist das ein Problem?
Chino: Es ist ja nicht wirklich aufzuhalten. Der technische Fortschritt bringt Vor- und Nachteile mit sich. Ich persönlich finde es total gut, für den Konsumenten ist das eine coole Sache. Aus Künstler-Sicht ist es nicht immer wirklich einfach, weil sich da auch viel in der Wertschöpfung verändert, aber ich bin auch der Meinung, dass man darüber nicht unbedingt traurig sein sollte. Klar muss am Ende jemand die Arbeit der Künstler bezahlen, aber ich glaube, dass sich das irgendwie findet und einpegeln wird.

Foto: I AM JOHANNES

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Kategorien Interview Kultur Musik

„Wenn Sie Journalistin werden wollen, sind Sie in diesem Studiengang falsch“, hörte ich im ersten Semester nicht nur einmal. Trotzdem habe ich mittlerweile, mit 22, meinen Abschluss – und arbeite stetig daran, den Zweiflern das Gegenteil zu beweisen. Denn das Schreiben lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Es ersetzt für mich rauschzustandsauslösende Substanzen, es ist mein Ventil, wenn die Gedanken zu laut schreien und kein Platz für ekstatisches Tanzen ist. Schreiben kann ich über all das, wonach niemand fragt, was im Gespräch niemand von mir wissen will. Am spannendsten ist aber, anderen Menschen zuzuhören und ihre Geschichte zu erzählen.