Interview

Reiner Engelmann: „Wir haben ein Rechtsextremismus-Problem unter Jugendlichen“

Drei Freunde beschließen eines Nachts zur nahe gelegenen Flüchtlingsunterkunft zu fahren und einen Molotowcocktail durch ein Fenster zu werfen. Was ihre Beweg­gründe waren und wie sie damit das Leben ihrer Opfer veränderten, davon handelt Reiner Engelmanns ge­rade veröffentlichtes Buch „Anschlag von rechts“. Wir haben den Autor ge­sprochen.

Reiner Engelmann recherchierte die Beweggründe rechter Gewalt.

Sie haben viel zu Anschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten recherchiert. Was haben die Täter gemeinsam?
Es sind vor allem junge Menschen mit überwiegend geringem Bildungsstand, die auf so große Fragen wie den Zustrom von Geflüchteten nach Europa Antworten suchen. Die bekommen sie von rechtsgerichteten Organisationen. Die Partei „Der dritte Weg“ etwa sagt, sie würden zwar keine Gewalt befürworten, könnten aber jeden verstehen, der genug von den Worten hat und zu Taten schreitet. Jugendliche sind oftmals noch sehr impulsiv, wollen das „Geschwätz“ der Politiker nicht mehr ertragen und handeln.

Haben wir ein Rechtsextremismus-Problem unter Jugendlichen?
Ja, aber schon sehr lange. Es hat nicht zugenommen, er ist nur öffentlicher geworden. Während meiner Recherche musste ich feststellen, dass in ganz Deutschland Beratungsstellen für Eltern, deren Kinder in die rechte Szene abgedriftet sind, geschlossen wurden. Seit Pegida und andere rechtspopulistische Gruppierungen in diesem Maße öffentlich agieren und diskutiert werden, wurden auch deren Ideologien akzeptiert und Eltern sehen keinen Anlass mehr, die Beratungsstellen aufzusuchen. Dass heute offener darüber gesprochen wird als noch vor ein paar Jahren hat aber auch etwas für sich – nämlich dass man direkt Maßnahmen ergreifen kann.

Was für Maßnahmen könnten das sein?
Das Thema muss in der Schule viel präsenter sein. Demokratie nicht als Unterrichtsfach, sondern als gelebtes Prinzip. Kurzfristig ist das Problem aber nicht zu bewältigen.

Für wie effektiv halten Sie hier Gefängnisstrafen?
Wenn die Täter schon eingesperrt sind, müsste man sie darüber aufklären, was sie gemacht haben und wie unsere Gesellschaft funktionieren kann. Bildung ist der Schlüssel, um etwas zu verändern.

Rechtsextremismus in unserem Land hat nicht zugenommen, er ist nur öffentlicher geworden.

Sie haben sich intensiv mit drei Tätern auseinandergesetzt, um deren An- schlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verstehen zu können. Was haben Sie herausgefunden?
Die Täter, die ich beschrieben habe, waren über Jahre unauffällig. Sie hatten ein ganz normales Leben und haben sich unbemerkt mit rechtem Gedankengut beschäftigt. Angefangen hat es mit rechter Musik, die sie unreflektiert hörten. Die Berichterstattung über die vielen Geflüchteten, die nach Europa kamen, haben sie dann überfordert. Ihr Eindruck war, dass da Fremde kommen, die etwas vom Kuchen abbekommen und wir müssen befürchten, dass es uns dadurch schlechter geht. Sie waren zum Teil selbst sozial benachteiligt, mit relativ niedrigem Bildungsstand. Da kommen ganz diffuse, oft unbegründete Ängste auf. Rechte Gruppierungen setzen genau da an: Seht ihr, da haben wir das Problem. Im Prozess sagten sie, das sei nur passiert, weil sie an dem Abend betrunken waren. Aber alle haben eindeutig rechtes Gedankengut verinnerlicht und verbreitet und hatten punktuell Kontakt zu rechten Parteien. Sie trafen sich oft in einem Club namens „Club 18“, in dem stundenlang rechte Musik gespielt wurde. Einer der Täter hat über WhatsApp rechtsextreme Inhalte verbreitet und unter die Nachrichten „Sieg Heil!“, „Heil Hitler!“ oder ein paar Hakenkreuze gesetzt. Die Verteidiger sagten, das wären hilflose Versuche, mit der Problematik fertig zu werden. Das kann man aber kaum unschuldig nennen. Dennoch stritten sie ab, der rechten Szene anzugehören.

Wie kann das sein?
Sie selbst haben sicher immer noch nicht das Empfinden, rechts zu sein. Es wurde betont, dass sie ja auch Migranten im Freundeskreis hätten. Gegen die Türken im Allgemeinen hat man was, aber der, mit dem man befreundet ist, der ist in Ordnung.

Die Täter waren selbst sozial benachteilig, mit relativ niedrigem Bildungsstand. Da kommen ganz diffuse, oft unbegründete Ängste auf. Rechte Gruppierungen setzen genau da an.

Konnten die Kinder und Jugendlichen der attackierten Unterkunft für Geflüchtete, über die sie berichten, verstehen, was da passiert war und warum?
Sie konnten jedenfalls besser damit umgehen als die Erwachsenen. Natürlich war es auch für sie ein furchtbares Erlebnis. Noch lange Zeit  wurden sie von Angstträumen geplagt. Aber dadurch, dass sie zur Schule und in den Kindergarten gehen, sich jeden Tag mit Freunden treffen, kamen sie schnellster darüber hinweg als die Erwachsenen. Nach außen hin zumindest wirkte es so.

Wie sind Sie mit der Brutalität, die Sie in Ihrem Buch schildern, umgegangen?
Es ist schwierig. Die Menschen, die so etwas erlebt haben, sind traumatisiert und haben das Bedürfnis, darüber zu reden, warum sie hier sind und was ihnen passiert ist. Sich das anzuhören, das steckt man nicht so einfach weg.

Das Interview führte Mirjam Koch, 24 Jahre

Fotos: Random House/Isabelle Grubert

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