Interview

Interview mit Bilderbuch: „Wir versuchen, immer ans Limit zu gehen“

Bilderbuchs viertes Album „Magic Life“ ist natürlich eine Wundertüte. Sänger Maurice hat mit uns einen Blick hineingeworfen.

Euer letztes Kunstwerk „Schick Schock“ wurde vor zwei Jahren aus allen Himmelsrichtungen beweihräuchert. Übt dieser mediale Lorbeerkranz Druck auf euch aus, jetzt Hits á la „OM“ und „Maschin“ nachliefern zu müssen?
Wir haben ein gutes Pop-Verständnis. „Schick Schock“ ist eine der coolsten deutschsprachigen Platten der letzten zehn Jahre. Aber wir müssen irgendwie weiterkommen. Das ist keine Hit-Angst, eher darum, uns selbst zu genügen. Wäre „Schick Schock“ unser erstes Album gewesen, hätten wir wohl mehr geschwitzt oder Angst vor dem nächsten Move gehabt. So war es eher: Okay, lass uns mal wieder ein Album machen.

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Wo sollte es denn diesmal hingehen?
Uns ging es um neue Ansätze, den nächsten Moment. „I love Stress“ ist dafür ein gutes Beispiel, weil wir Welten verbinden, die wir vorher noch nicht verbunden haben. Gleichzeitig einen langsamen Hip-Hop-Beat mit so einem Radiohead-mäßigen Gschschhhh. Und das auf Deutsch. Oder „Sweet Love“ – sich wegnehmen, auf Schlagzeug und Bass verzichten. Einfach um nach elf Jahren Bandgeschichte auszuprobieren, ob wir das können. Und wenn du das kannst, hat das etwas ganz Erlösendes. Sonst haben wir ja so viele Songs immer mit voller Garnitur gespielt. Und auf einmal machst du diese Ballade. Ganz pur bei dir, nur ein Gitarrensignal und direkt danach drüber gesungen. That’s it. Solche Sachen haben uns extrem viel gegeben.

„Wir wollen da einen Dreck reinbringen. Nicht nur Sex, sondern auch Dreck.“

Hinter eurem Namen verbirgt sich ja meistens das Außergewöhnliche, Überraschende. Das ist schon ein ziemlich cooles Image: Alle erwarten das Unerwartbare.
Wir haben uns keinen Sound auferlegt, den wir durchziehen. Das ist ein Teil von Bilderbuch. Ein guter Bilderbuch-Fan weiß genau Bescheid, dass es bei uns darum geht, tuned zu bleiben und eine neue Episode unserer Karriere zu durchleben. Wir sind nicht nur eine Momentaufnahme, die einmal cool ist und dann immer wieder gestreckt wird. Wir arbeiten daran, dass unser Image ist, nicht berechenbar zu sein. Das ist künstlerisch befriedigend.

Kommt ihr überhaupt jemals an den Punkt, an dem euch ein Song gut genug erscheint?
Wir sind extreme Perfektionisten. Es gibt Momente, die dich antörnen. Und Momente, da musst du über deinen eigenen Schatten springen, weil du weißt, wir könnten noch zu viel besser sein. Aber es ist auch schon gut und du musst es dann loslassen wie ein Kind in die Welt. Manchmal denkst du: Warum klingt diese amerikanische Produktion so viel besser? Aber in Amerika arbeiten in so einer großen Produktionsfirma vielleicht 150 Menschen an dem Song. Viele Künstler geben dann einfach nur ihren Namen her. Wir sind halt eine Band, vier Leute, maximal ein Techniker. Das macht auch den Charme aus.

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Was macht eure künstlerische Arbeit als Band so besonders und wertvoll für die deutschsprachige Pop-Kultur?
Wir wollen da einen Dreck reinbringen. Nicht nur Sex, sondern auch Dreck. Die Frage ist immer: Wo bleibt die Band? Die muss ja nicht gerade nach Siebzigern klingen, nach Proberaum irgendwie, man kann auch heutzutage was Mutiges machen und sich moderner Produktionsweisen bedienen. Bis zu einem gewissen Grad kann ich ja auch einen Computer crashen. Mike steckt auch die Gitarre direkt am Laptop an, wir proben ohne Amp. So klingt eben unsere Zeit, das ist mega geil, das klingt nach 2017.

Ihr habt aber auch echt vor nichts Angst, oder? Ihr gönnt euch Autotune, lange Gitarren-Soli…
Ja, sicher! Und jetzt haben wir uns auch zum ersten Mal Balladen gegönnt. Warum sollten wir lauter Songs machen, die schon mal funktioniert haben? Wenn du reproduzierst, wird es nie wieder so geil. Deswegen: Suche. Geh’ ins Feld hinaus. Wie eine Kuh, die auf eine Weide geht und das Gras frisst. Und wenn die anderen Kühe gucken, musst du schon längst auf der nächsten Weide stehen und schauen, wo kann ich hin, wo die anderen nicht sind.

„Kann ja auch sein, dass du voll auf die Fresse fällst. Bei Bilderbuch ist das vorprogrammiert, dass irgendwann sowas kommt.“

Weil ihr bei eurem eigenen Label, Maschin Records, gesigned seid, habt ihr ja auch absolute Narrenfreiheit. Genießt ihr das?
Absolut. Wir haben kein Feindbild. Das ist aber auch unser größtes Problem, weil wir keinen haben, auf den wir schimpfen können.

Es kommt aber auch niemand zu euch und sagt: Nee Jungs, den Zirkus machen wir nicht mit.
Genau, das gibt’s nicht. Bei „Sprit’n’Soda“ zum Beispiel würde jedes Label sagen: Spinnt ihr? Das ist ein Song, den würde kein Mensch in Österreich oder Deutschland machen. Und der ist so super, wenn du den live spielst. Wir haben den geprobt die letzten Tage und ich habe Gänsehaut bekommen, wenn die Emotionen so intensiv werden. Die Leute werden nicht drauf klarkommen, wie geil das ist. Das ist Musik, die gibt es in Deutschland gar nicht. Das ist mehr bei Bon Iver oder Arcade Fire zu Hause. Und gleichzeitig hat es diese Edginess vom Hip Hop. Deshalb bin ich manchmal schon stolz, aber ich weiß auch, wie unberechenbar der ganze Wahnsinn ist. Kann ja auch sein, dass du voll auf die Fresse fällst. Bei Bilderbuch ist das vorprogrammiert, dass irgendwann sowas kommt.

„Es fehlt die Leidenschaft. Die Musik wird schon so unleidenschaftlich vorgetragen. Wo ist da der Witz, die Gefahr, das Risiko. Wo ist das Scheiß-Risiko?“

Wahrscheinlich würde euer Publikum eher denken, dass sei schon wieder Teil einer Kunstperformance.
Ja, das ist das Lustige, weil die Leute unseren Mut schätzen. Solange wir jung sind und fresh sein können, sollten wir mutig sein und Sachen machen, die andere inspirieren. Es ist schon die Idee, langfristig Pop zu machen. Aber das soll nicht wie bei Mark Forster nur eine Geldmaschine sein oder wie bei den 257ers nur Kabarett. Wenn du einen Song machst, der nur lustig ist, wo bleibt denn da die Mucke? Irgendwas, was von da drinnen kommt, vom Bauch, was dich bewegt, was Instinktives. Das lassen wir zu und das macht uns unperfekt. Das ist aber auch das Geile.

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Krankt daran die Pop-Musik gerade – am öden Storytelling und der fehlenden Leidenschaft?
In Deutschland gibt es da ein ganz komisches Verhältnis. Du hast Hits, die offensiv lustig sind, und so brave Pop-Musik. Und ich denke mir: Lehn dich doch einmal rein. Es fehlt die Leidenschaft, das ist ganz arg. Die Musik wird schon so unleidenschaftlich vorgetragen. Wo ist da der Witz, die Gefahr, das Risiko. Wo ist das Scheiß-Risiko? Das schlimmste, was einem Song passieren kann, ist, dass ihn keiner hört und keiner sich dran stört. Keiner wird ihn hassen, weil er so egal ist. Ich finde so wenig Musik wirklich ergreifend. Wir versuchen, immer ans Limit zu gehen. Dass es emotional wird und irgendwas hat. Lieber lasse ich mir von 60 Prozent der Leute sagen, dass es ein Scheiß ist und 40 Prozent der Leute verstehen es und sagen: Geil. Das traut sich was. Das will was. Irgendwas – und nicht nur Geld verdienen.

„Sei nicht sauer, meine kleine Grapefruit, ich schmecke immer noch nach Fruit Juice“: Du bist ein waschechter Wortakrobat. Was ist dir beim Texten besonders wichtig?
Ich gebe mir extrem Mühe bei den Texten, weil ich will, dass da etwas zu finden ist. Dass es nicht nur eine Aneinanderreihung von Reimen ist. Dass es Spaß macht. Dass man reingehen kann, wenn man will. Dass gewisse Twists drin sind, die sich schön anhören, Wörter eine neue Bedeutung bekommen, rhythmisch aneinander gereiht werden, sodass es neu klingt. Du kannst schon Herz und Schmerz reimen, aber dann musst du es so krass anders singen. Kein Wort ist verpönt. Das Wort kann nix dafür. Nur die Interpretation des Wortes kann was dafür. Manchmal bekomme ich bei deutschsprachiger Musik Fremdschämen, das ist mir peinlich, das kann ich nicht hören.

Für welche Zeile könntest du dich selbst küssen?
Von der Coolness her: „Ich brauche Power für mein Akku, Baby, leih mir deinen Lader.“ Ich probiere manchmal, die deutsche Sprache so zu rhythmisieren, dass schon fast was Afrikanisches hat. Takatukatakataka. Wenn du das Gefühl hast, es ist keine Sprache mehr, das ist nur noch Rhythmus und bleibt dabei aber trotzdem Sprache. Dann ist das musikalisch-lyrisch wirklich ein guter Moment. Eine der schönsten Textzeilen bei „Magic Life“ ist auch „Die Wellen liegen hoch im Grand Success Ressort, ohne Stress, ja, ohne Stress. Füll uns auf den Prosecco, füll uns auf.“ Das geht so dahin, ist so Mantra-mäßig. Der Text muss nicht verständlich sein, sondern irgendwann verständlich sein. Wenn du’s öfter hörst, bist du irgendwann drin in dem Ding und kommst nie wieder raus.

Foto: Elizaveta Porodina

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Kategorien Interview Kultur Musik

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.