Interview zur U18-Wahl: „Jugendliche sind nicht so doof, alles zu glauben, was erzählt wird“

Bei der symbolischen U18-Wahl haben am Freitag Berlins Kinder und Jugendliche über das neue Abgeordnetenhaus abgestimmt. Das Wahlergebnis überrascht. Wir haben es zusammen mit Dr. Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, analysiert.

Sind sie überrascht über das Wahlergebnis?
Ich bin davon überrascht, dass im Gegensatz zur U18-Wahl 2011 die Grünen verloren und die SPD gewonnen hat. Die Grünen galten ja immer als die Partei der Jugend. Auch die CDU hat hinzugewonnen. Das heißt, die beiden Regierungsparteien haben möglicherweise aus dieser Koalition Profit gezogen. Dass die Piraten verloren haben ist nicht weiter erstaunlich, sie sind ja nicht mehr so präsent. Also etwas überrascht über die Stimmen zugunsten der großen Koalition, ansonsten nicht.

Die U18-Wahl unterscheidet sich deutlich von der Prognose für die Wahl am Sonntag. Ist das verwunderlich?
Ich gebe nichts auf Prognosen. Wenn mehr als 40 Prozent der Berliner sagen, sie wüssten gar nicht ob sie zur Wahl gehen, halte ich diese Prognosen für relativ instabil. Sie sagen nur etwas über den momentanen Marktwert aus, aber noch nichts über das Wahlergebnis.

Gero Neugebauer, Politologe an der FU Berlin. Foto: Freie Universität Berlin/dpa
Gero Neugebauer, Politologe an der FU Berlin. Foto: Freie Universität Berlin/dpa

Die AfD hat bei der U18-Wahl kaum Stimmen bekommen. Haben Sie damit gerechnet?
Wenn man die Wähler der AfD anschaut, dann sieht man, dass sie hauptsächlich zwischen 35 und 55 Jahre alt sind und vornehmlich einen mittleren oder  niederen Bildungsabschluss haben. Bei der U18-Wahl nehmen viele teil, die ein politisches Interesse haben und dieses Interesse auch damit verknüpfen, wählen zu gehen. Jugendliche sind optimistischer und nicht so pessimistisch wie es viele AfD-Wähler sind. Man muss natürlich sagen, Jugendliche haben noch keine Erfahrung mit gescheiterten Zielen und Berufen gemacht. Die AfD setzt ja gerade auf Leute, die meinen, sie müssten Angst haben und sich in ihrem sozialen Status bedroht fühlen. Das sind alles Faktoren, die bei Jugendlichen nicht so sehr zählen. Und vielleicht sind Jugendliche auch nicht so doof, dass sie alles glauben, was erzählt wird.

Die Tierschutzpartei schafft es bei den U18-Wahlen eigentlich immer über die 5-Prozent-Hürde. Woran liegt das?
Vielleicht gibt es viele junge Wählerinnen, die auf Pferden reiten? Ich denke, das Interesse für Tiere ist bei Kindern wesentlich höher als bei Erwachsenen. Für Kinder drücken Tiere vielleicht auch Werte für eine harmonische Gesellschaft und den Schutz für die Schwachen aus.

Wählen junge Menschen allgemein anders alt ältere?
Es gibt immer solche Dauerbrenner wie „das Wahlverhalten der Jungen ist anders als das der Alten“ oder „die Jungen sind politikverdrossen“. Aber beides ist Blödsinn. Weil bei den Älteren die CDU vorne ist, würde ich sagen, es gibt ein anderes Wahlverhalten, was die Parteipräferenz betrifft. Was Untersuchungen herausgefunden haben ist, dass Jugendliche, die zur Wahl gehen, auch eher bereit sind, sich bei nicht-konventionellen Protestformen zu beteiligen. Also zum Beispiel bei einem Boykott-Aufruf bei Konsumprodukten oder Online-Petitionen.

Wie sehr wirkt sich das Wahlverhalten der Eltern auf die Kinder aus?
Wer zu Hause über Politik diskutiert, der wird die Wahlentscheidung der Eltern möglicherweise übernehmen. Wieso haben zum Beispiel die Grauen Panther 137 Stimmen bekommen? Das kann nur Einfluss vom Elternhaus sein. Auch wenn bei der politischen Orientierung Kinder nicht grundsätzlich ihren Eltern folgen. Es gibt auch viele Jugendliche, die eine Protesthaltung entwickeln. Dass Kinder von CDU-Bürgermeistern plötzlich in sozialistischen Gruppen auftauchen, sind aber eher Anekdoten.

Großes Thema rund um die U18-Wahl war auch in diesem Jahr wieder, ob das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt werden sollte. Wie sehen sie das aus wissenschaftlicher Sicht?
Wir haben in einigen Bundesländer das Wahlalter bereits auf 16 Jahren herabgesetzt. Und im Prinzip bin ich auch für das Wählen ab 16 Jahren. Je früher die Möglichkeit besteht, beim Wahlprozess in politische Partizipation einbezogen zu werden, desto mehr wird das ein Faktor, an dem man sich gewöhnt. Für die Entwicklung einer Wahl-Norm ist das hilfreich. Es gibt bei den etablierten Parteien lediglich die Konservativen die meinen, die Jugendlichen seien nicht reif genug.

Unseren Artikel „So haben die Jugendlichen in Berlin gewählt“ gibt es hier.

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Interview Mitmischen Politik Schulpolitik Welt

„Ich träume von Dingen, die es noch nie gegeben hat und frage mich: Warum nicht?“ Das sagte Robert F. Kennedy einmal. Genau so würde auch ich meine Einstellung erklären. Ich mag es, Dinge von neuen Seiten zu denken. Ich habe mit 15 Jahren ein Buch geschrieben und mit 18 Jahren eine eigene Partei gegründet. Meine große Leidenschaft ist die Moderation – die ich in verschiedenen Formaten auslebe. Jetzt, 22 Jahre alt, bin ich unter die Journalisten gegangen und schreibe über das, was ich gerade erlebe und über das, was mir wichtig ist.

Kommentare sind geschlossen.