„Ich hoffe, dass wir uns nicht vollkommen verloren haben“

Der kanadische Soulmusiker Justin Nozuka über seinen unkonventionellen, spirituellen Stil, den Rhythmus des Lebens, die selbst kreierten Realitäten des Menschen und die Furcht, Grenzen zu überwinden

Justin, du bist erst 22 Jahre alt aber trotzdem bereits das zweite Mal auf Europatour. Besonders in Frankreich bist du sehr beliebt. Wie würdest du deine Musik in drei Worten beschreiben?

Ich versuche, meine Musik aus der Seele entspringen zu lassen. Sie ist ganz spirituell. Ich möchte in ihr meine Emotionen zum Ausdruck bringen. Die Songs, die ich schreibe, sind sehr persönlich, das ist mir wichtig. Das Ganze erhält dann in der Umsetzung ein gewisses Rock-Flair. Meine Musik umfasst also Spiritualität, Originalität und viel Rock und Soul.

Dein Stil entspricht keineswegs dem Elektro-Pop-Mainstream von heute. Wie stehst du zu dieser Musikrichtung?
Es gibt gewiss schöne Stücke darunter und auch gute Künstler, die dahinter stecken. Ich finde zum Beispiel Daft Punk fabelhaft. Ich sehe da keine festen Grenzen. Ich mag auch gute Dance-Musik unheimlich gern. Jeder hat da seine eigene Auffassung. Mit meinen Brüdern habe ich früher oft gemeinsam Musik gemacht, bis ich dann irgendwann bei verschiedenen Open-Mic-Auftritten in Toronto meinen ganz eigenen Stil entdeckte – den mit Akustikgitarre und eigenen Texten. Musik ist immer Kunst, und die ist Geschmackssache. Verwerflich finde ich andere Musik auf keinen Fall.

Wen möchtest du mit deiner Musik erreichen?
Ich möchte jeden erreichen, der sich zu meiner Musik hingezogen fühlt. Es ist mein Traum, mit allen verbunden sein zu können. So wie die Beatles oder John Lennon es einst waren.

Und hast du auch eine bestimmte Botschaft, die du vermitteln möchtest, steckt auch der Gedanke, etwas bewegen zu wollen, hinter deiner Musik?
Ich glaube daran, dass jeder von uns Teil dieser einen Bewegung ist, ob gewollt, bewusst oder nicht. Jede Schwingung beeinflusst die Welt.  Ich will meinen persönlichen Frieden erleben, den Rhythmus des Lebens spüren und in Verbindung  zum wirklichen Leben stehen. Von diesem Standpunkt aus erzähle ich mit meiner Musik. Ich hoffe, dass andere den Rhythmus meines Lebens auch spüren. Es gibt noch so viel Raum für den Menschen, um zu wachsen, es gibt noch so viel Potenzial. Von diesem Schritt in der Evolution, dieser Bewegung, möchte ich Teil sein.

Das Internet macht es einem jetzt viel einfacher, Musik zu teilen. Ist das ein Vorteil?
Ich meine tatsächlich, dass die Möglichkeiten des Internets eine gute Entwicklung darstellen. Man ist nicht mehr auf einige bestimmte Menschen angewiesen, um mit Musik erfolgreich zu werden. Man kann sich die Möglichkeiten ganz von selbst schaffen. In diesem Netzwerk sind so viele Köpfe miteinander verbunden. Wenn man etwas besitzt, das kraftvoll ist, dann bin ich überzeugt, dass es irgendwann von denjenigen gefunden wird, von denen es gefunden werden soll. Es ist eine so irreal rasante Vernetzung möglich!


Glaubst du nicht, dass die Kunst verloren geht, wenn sie sich allein über Bildschirm und Lautsprecher präsentiert?
Das Internet öffnet Türen, zum Beispiel zur Fantasie oder Kreativität. Das persönliche Aufeinandertreffen von Künstler und Rezipient ist jedoch eine ganz andere Erfahrung. Live-Musik zu genießen, ist ein anderes Gefühl. Es gibt so viele verschiedene Niveaus einer Verbindung. Ich hoffe, dass wir uns nicht vollkommen verloren haben. Dass jeder weiß, dass die Welt da draußen noch viel größer sein kann. Aber selbst wenn man hinausgeht, glaube ich, dass jeder in seiner ganz eigenen Welt steckt. Vielleicht haben die aktuellen Probleme alle gar nicht so viel mit der fortschreitenden Technik zu tun.

Was braucht der Mensch eher: die Fantasie oder den Blick zur Realität?
Das Interessante am Menschen ist, dass er seine Realität selbst kreiert. Es gibt so vieles, das wir uns in unserer Welt, in unseren Köpfen aufbauen können. Ich denke nicht, dass man Fantasie und Realität tatsächlich differenzieren kann. Ich finde es sehr wichtig, beides zu verstehen, zu leben. Wirklich zu spüren, wenn man atmet. Wir besitzen so viel mehr als unseren Verstand. Wir sind oft so oberflächlich, dass kaum jemand mit dem gesamten Körper spürt, wie er lebt. Realität verlangt viel mehr Tiefe, als wir glauben. Das Leben, glaube ich, wird heute weniger wertgeschätzt. Was wäre, wenn wir einfach nur leben würden, für einen Moment, als wäre es ein Traum, der jederzeit zu Ende sein könnte?

Was wäre denn dann?
Menschen würden das Leben mehr genießen können, gäbe es nicht so viel Angst und Furcht in unserer Gesellschaft. Ich zum Beispiel fürchte oft, dass ich mit meiner Musik zu viel von mir preisgebe. Vieles ist so unpersönlich geworden. Was aber nun ist angemessen und was nicht? Es ist die Furcht, Grenzen zu überschreiten, die uns als Schutz – vollkommen unbewusst – eine Fantasiewelt aufbauen lässt.

In einem deiner Songs singst du von einer „Golden Train“ – was wäre wenn morgen ein goldener Zug käme, um dich mitzunehmen? Würdest du gehen oder bleiben?
Wenn dieser Zug morgen käme, müsste ich bleiben. Das, was ich nun tue, ist bereits so weit weg von dem Weg, den ich mir für mich hätte vorstellen können. Dafür bin ich auch unglaublich dankbar. Gelegentlich stelle ich mir dennoch schon vor, einfach wegzurennen. Niemandem davon zu erzählen, einfach zu gehen. Nach Indien vielleicht. Ich glaube aber auch, dass ich dafür  zu viel Verantwortung besitze, zu viele Pflichten. Ich bin Teil dieser gemeinschaftlichen Bewegung. Da muss ich stark sein, das will ich,  und ich glaube, das bin ich auch.

Interview: Phuong Duyen Tran, 15 Jahre

Justins offzielle Internetseite auf Englisch findet ihr hier.

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