Die Sommerferien sind zwar zu Ende – aber der Sommer noch nicht. Und unsere Reporter schwirren weiter in der Weltgeschichte herum, auf Klassenfahrten oder Austauschjahren. Und berichten davon. In dieser Woche aus Estland:
Auch bei meinem zweiten Besuch im nördlichsten der drei baltischen Staaten erschienen mir die Esten ein kleines, aber stolzes Volk zu sein. Die etwa eine Million estnischen Staatsbürger, die sich vor allem auf die ländlichen Regionen verteilen, sagen ungern Hallo und sind erst recht nicht zu Smalltalk aufgelegt. Sie haben nüchterne Gesichtsausdrucke, und in der Schriftsprache sind die Formulierungen mitunter noch deutlicher, knapper und harscher als bei uns in Deutschland. Ich ernte misstrauische Blicke der hochgewachsenen, blonden Balten, denen ich vereinzelt fischend oder nachdenklich schlendernd bei meinen abendlichen Spaziergängen durch die unberührte Landschaft begegne. Alles wirkt etwas natürlicher und klarer als in Deutschland – das satte Grün des Schilfs und das prächtige Blau der Seen verschlingt einen geradezu.
Das Foto entstand während eines solchen abendlichen Spaziergangs in der 12 000-Einwohner-Stadt Võro. Das Besondere an Võro ist, dass dort ein eigener Käse hergestellt wird und es sogar eine stadteigene Mineralwassermarke zu kaufen gibt. Zurück in meiner Ferienunterkunft, einem weinrot gestrichenen Holzhaus, schalte ich den Fernseher an. Einer der drei estnischen Privatsender bewirbt „Estland sucht den Superstar“; der Erkennungs-Jingle ist der gleiche wie in Deutschland. Aha, die Esten sind uns wohl doch gar nicht so fremd.
Bill Schneider (17 Jahre)