Für viele Jugendliche ist die heimische Isolation eine riesige Belastung. Die JugendNotmail möchte den Betroffenen zur Seite stehen.
Interview

„Manche sind gerade am Verzweifeln“: JugendNotmail hilft bei Corona-Frust

Corona-Ferien, Kontaktverbot, Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Geschäfte: Für Jugendliche ist die Corona-Krise und das damit verbundene Social Distancing eine enorme Herausforderung. Die Online-Plattform JugendNotmail handelt und hat einen Themenchat für Hilfesuchende eingerichtet.

Von Lisa-Marie Henle

Marita Oeming-Schill ist seit 2012 als ehrenamtliche Online-Beraterin beim Verein jungundjetzt und dessen Online-Plattform JugendNotmail aktiv. Hier berät die Berliner Sozialarbeiterin zusammen mit anderen Ehrenamtlichen online Jugendliche in Notlagen. Nachdem sich immer mehr Jugendliche mit Corona-Frust gemeldet haben, hat man reagiert. Im April finden Gruppenchats zu relevanten Themen rund um die derzeitige Situation statt. Wir haben Marita Oeming-Schill telefonisch interviewt und mit ihr über JugendNotmail, Covid-19 und derzeitige Herausforderungen für Teenager*innen gesprochen.

Warum ist eine Online-Beratung gerade in Zeiten der Corona-Krise so wichtig?
Gerade Jugendliche brauchen in Zeiten der sozialen Isolierung und der neuen Einschränkungen den Austausch. Das digitale Netz ist ja in Verruf. Gerade in der jetzigen Isolation sind Jugendliche in Gefahr, in falsche Hände zu kommen. Unsere Aufgabe ist es, dabei eine Alternative – einen Schutzraum – zu bieten. Ein Effekt der jetzigen Debatte über Covid-19 ist es auch, dass das Internet vor allem mit seinen Chancen gesehen wird. Es ist wichtig, die Digitalisierung weiterhin positiv zu nutzen

Setzen die Ausgangsbeschränkungen vielen Jugendlichen wirklich richtig zu?
Durchaus. Derzeit befinden sich Jugendliche in einer Isolation von außen. Das kann schwierig sein. Bei manchen hat sich das Leben überwiegend draußen abgespielt, weil sie zu Hause nicht gut versorgt sind. Diese sind jetzt am Verzweifeln. Familiäre Probleme können auch vermehrt auftreten. Das ist gerade bei Familien, die vorher schon Stress hatten, der Fall. Besonders gefährdet sind derzeit aber Jugendliche mit Suizidgedanken. Es ist unser Anspruch, sie nicht allein zu lassen.

Gerade in der jetzigen Isolation sind Jugendliche in Gefahr, in falsche Hände zu kommen.

sagt die Berliner Sozialarbeiterin Marita Oeming-Schill

Sie bieten jetzt wöchentlich einen moderierten Themenchat für Ratsuchende an. Wie funktioniert das?
Jeden Montag um 19 Uhr halten wir einen Gruppenchat mit einem vorgegebenen Thema ab. Dort gibt es acht Plätze für Jugendliche bis 19 Jahre und wir sind abwechselnd als Moderator*innen aktiv. Ziel ist es, in den Chats die Jugendlichen zu eigenen Lösungen zu motivieren und sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Weil im April ja ein Kontaktverbot herrscht, die Schulen zu sind und es nahtlos in die Ferien übergeht, erschienen uns die Themenchats zu Corona besonders wichtig. Vielleicht ist das Thema im Mai auch noch so heiß wie jetzt. Je nach den Entwicklungen und Erfahrungen aus dem April werden wir entscheiden, ob es mit ähnlichen Themen oder dem normalen Ablauf weitergeht.

Die reguläre Beratung gibt es weiterhin als anonyme Einzelberatung. Dabei wird aber, nicht wie im Gruppenchat, sofort geantwortet, sondern eine Antwort kann schon zwei bis drei Tage dauern. Derzeit haben wir jedoch kaum Wartezeiten, weil auch viele unserer ehrenamtlichen Berater*innen nun mehr zuhause sind und die Notmails momentan viel schneller bearbeitet werden. Alle Gespräche sind vertrauensvoll. Auch wenn ohnehin die Berater*innen und Jugendlichen anonym sind, bleibt alles unter uns.

Was sind Vorteile von JugendNotmail im Vergleich zu anderen Beratungsstellen, wie zum Beispiel dem Sorgentelefon?
Ich glaube, dass Schreiben oft einfacher ist. Am Telefon hat man direkt jemanden am Ohr und oft weiß man nicht, wie man anfangen soll. Wir wollen die Jugendlichen mit JugendNotmail da abholen, wo sie sind und ihre Art der Kommunikation aufgreifen. Das wird sehr gut angenommen. Ich finde die Vielfalt gut. Mache Jugendliche telefonieren lieber, andere schreiben lieber. Man merkt auch, wenn Jugendliche viel schreiben oder schreibaffin sind. Dann empfehle ich zum Beispiel, ein Tagebuch oder einen Brief zu verfassen. Dieser Brief kann an die eigene Angst, die Essstörung oder sich selbst in der Zukunft gerichtet sein. Jetzt während der Corona-Krise ist die Idee, mit den Jugendlichen über die Krise hinaus zu blicken und sie damit eventuell aus der Depression herauszuholen, wie zum Beispiel mit dem Chatthema am 27.04.2020: „Was kommt nach der Covid-Attacke? Alles auf Anfang und weiter im alten Trott? Oder Mut zur Veränderung?“

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