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Leben in Quarantäne – was macht das mit einer 6er-WG? Eine Kolumne

Tag 10 oder – der Tag, an dem ein Gespräch über Heringssalat mein Highlight war

Bei meinen täglichen Supermarktrunden habe ich das Gefühl, dass sich eine ungewohnte Herzlichkeit verbreitet. Man lächelt sich zu, überlässt einander die letzte Milchpackung oder führt in gebührendem Abstand kurze Gespräche. Vor allem ältere Menschen scheinen auf gewisse Weise solch eine Nähe zu suchen. Wie durch ein Lächeln oder das Fragen, ob man ihnen doch bitte mal beim Suchen des Herings helfen könnte. Die Deutschen rücken dieser Tage widersprüchlicher Weise zusammen. Was nur verständlich ist.

Diese kleinen, menschlichen Kontakte auf der Straße oder eben im Supermarkt sind für viele momentan das höchste der Gefühle. Und auch ich genieße das Gespräch mit der älteren Dame über ihren Heringssalat. Zuhause kann man sich einfach nicht mehr wirklich aus dem Weg gehen und langsam wird es immer schwieriger, diese ganze Quarantäne-Zeit noch als gemeinschaftliches Abendteuer anzusehen. Zum Glück sind wir eine WG die versucht Probleme offen anzusprechen und zu klären, aber diese Ausnahmesituation bringt uns alle an die Grenzen. Ein jeder von uns ist immer öfter einfach nur von der Anwesenheit der anderen genervt. Ein Problem, das nicht so schnell zu lösen ist. Langsam fliehen wir uns alle stückweise ins Alleinsein.

Dabei sind wir aber in einer wirklich privilegierten Lage, denn wir haben die Wahl: Gemeinschaft oder Abkapslung? Viele Menschen haben diese Entscheidungsfreiheit in Zeiten von Corona nicht und müssen sich einer ungewollten, isolierten Einsamkeit hingeben.

So schwierig dieser Zustand momentan auch ist – wir müssen wohl an den täglichen Supermarktgesprächen über Hering-Mahlzeiten festhalten. Denn eben diese kleinen menschlichen Interaktionen sind es, die einem das Gefühl geben, Teil dieser Gesellschaft zu sein und den Tag schnell ein wenig normaler erscheinen lassen.

Quarantäne Tag 8 oder – der Tag, an dem die Anderen auch mal zu Wort kommen

Da ich jetzt bereits seit einer Woche über unser Leben hier in der WG schreibe, wollte ich meinen treuen Begleitern und Stimmungsaufheiterern – auch Mitbewohner genannt – heute mal die Chance geben, ebenfalls etwas zu unserer kleinen Kolumne beizutragen. Bühne frei für die besten Serien- und Filmtipps für lange Bildschirmtage aus der Quarantäne-WG:  

„Mein Name ist Bengt, der Dude mit dem orangenen Bus und der Übeltäter aus Österreich,  wegen dem unsere WG gerade ausreichend Quarantäne-Zeit für Filme hat. Da ich Filme und Serien sehr liebe und mich fast nichts mehr inspiriert und glücklicher macht als eben diese, fiel mir die Entscheidung extrem schwer. Meine Empfehlung heute ist die HBO-Serie „Westworld“, welche sich an dem gleichnamigen Film aus den 70ern von Michael Crichton orientiert. Die Serie handelt von menschenähnlichen, fühlenden Robotern, die von einer Firma in einem Western-Freizeitpark fürs pure Vergnügen eingesetzt werden und mit denen die Besucher tun und lassen können was sie wollen. Dies jedoch nur bis eine von den „Hosts“, die Roboter der „Westworld“, ein Bewusstsein entwickelt. Mehr dazu ich darf eigentlich auch gar nicht mehr verraten. Insgesamt eine gelungene Serie, die sich sehr subtil mit der philosophischen Frage, ab wann der Mensch ein Mensch ist, und mit vielen ethischen sowie moralischen Problemen auseinandersetzt. Mich hat sie sehr zum Nachdenken angeregt und wenn man diese mit der Familie oder WG zusammen schaut, kann man auch fantastisch darüber diskutieren.“

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„Moin ich bin Carl, Mitglied dieser WG und nun anscheinend auch Autor für Spreewild. Für mich ein absoluter Serien-Geheimtipp ist die dritte Staffel der dänischen Serie „Bedrag“, welche im März diesen Jahres unter dem Namen: „Follow the Money“ auf ARTE erschienen ist. Der dritte Teil dieser Wirtschaftskrimi-Serie ist eher als ein alleinstehender Spin-Off-Teil zu sehen und kann somit super ohne das Vorwissen der ersten beiden Staffeln geschaut werden. Bei dieser spannenden Krimi-Geschichte kommt schnell ein bisschen „4 Blocks“-Feeling auf, denn es dreht sich alles um Drogenkriminalität und Geldwäsche. Aus verschiedenen Perspektiven wird das Milieu der Hasch-Kriminalität und dessen Bekämpfung beleuchtet. Zwar hat man die Story so oder so ähnlich schon einmal gesehen oder gehört, doch überzeugen die authentische und bis ins Detail ausgearbeitete Darstellung der kriminellen „Szene“ sowie die starken Charaktere. Man fiebert sowohl mit dem Ermittler- Team als auch mit den kriminellen Protagonisten mit. Im Hintergrund kommt immer wieder die Frage nach der Legalisierung von Cannabis auf und schafft somit einen aktuellen, gesellschaftsrelevanten Zusammenhang. Für mich ist diese solide Krimi-Serie eine angenehme Abwechslung zu den im Überfluss existierenden Mega-Netflix-Produktionen.

„Ich bin Arthur, der Typ mit der Cap am Klavier und komme aus Hamburg. Ich habe gerne ein (sportliches oder anderes) Ziel vor Augen, gerade für die Semesterferien oder eben jetzt in Quarantäne, wo ich wirklich Zeit habe. Nur mit der Motivation hapert es manchmal. Deswegen lege ich euch „Southpaw“ (2015) ans Herz. Ein wirklich mitreißendes Drama über den Halbschwergewichtsweltmeister Billy Hope, der mit einem Mal alles verliert und noch einmal von unten anfangen muss. In diesem Film wird viel gekämpft: mit anderen Boxern, mit sich selbst, der eigenen Aggression oder mit dem Jugendamt. Der Film zeigt einen Blick hinter die Kulissen des internationalen Boxsports und während er wirklich unterhaltend ist, hat er mich auch motiviert, die Zeit in Quarantäne sinnvoll zu nutzen. Bis die Box- und Fitnessstudios wieder aufmachen heißt es jetzt also einfach mal so oft wie möglich Push-ups, Planks und Hanteltraining zu machen. Jetzt hat man ja Zeit.“

„Moin, ich bin Ben und wie man hört aus Hamburg. Einen Serientipp zu geben, nachdem ich einen guten Teil meiner Zeit in Quarantäne auf Netflix verbracht habe ist alles andere als einfach. Meine Wahl fiel auf „Our Planet“. Eine Netflix-Dokumentationsserie die sich in acht Folgen mit verschiedenen Teilen, Biomen und Bewohnern unseres Planeten beschäftigt. Von Eiswüsten zu Sandwüsten, über Korallenriffe in die Tiefsee geht die aus beeindruckenden Bildern bestehende Reise. Im Englischen begleitet durch David Attenborough, im Deutschen durch Christian Brückner. „Our Planet“ ist keine Serie die man an einem Tag durchgucken muss. Eine Folge reicht, um mir auf meinem Bett Zuhause vor Augen zu führen, wie groß, wunderschön und doch fragil dieser Planet ist, auf dem wir leben. Schön genug um mit jeder Fantasiewelt, die sich je ausgedacht wurde mitzuhalten. Aber wenn wir, die Menschheit, nicht aufhören ihn gnadenlos auszubeuten, dann existiert diese Schönheit in naher Zukunft wirklich nur noch in unserer Fantasie. Jetzt gerade, während wir alle Zuhause festsitzen, hat die Erde einmal Zeit durchzuatmen. Was das bringen kann sieht man an vielen Orten. Es zeigt, wir sind Schuld am Verfall unseres Planeten. Es zeigt aber auch: Wir können es besser machen!“

Quarantäne Tag 6 oder – der Tag, an dem wir endlich mal durchatmen müssen

Heute geht es einfach nicht mehr. Die Wohnung hat es geschafft uns in die Enge zu treiben. Wir müssen raus.

Bengts oranger T4 Bus „Ella“ wird vollgepackt und los gehts. Arthur muss aus Mangel an Sitzen unter Decken versteckt im ausladenden Kofferraum Platz nehmen. Unser Ziel: Ein See im Norden Leipzigs. Seit gestern Abend gelten umfangreiche Ausgangsbeschränkungen in Sachsen, offiziell sind wir hier also etwas illegal unterwegs. Die drei Polizeiwagen auf unserem Weg scheint dies aber nicht groß zu interessieren.

Angekommen machen wir uns los auf einen langen Spaziergang, um mal richtig durchzulüften. Wir quatschen, lachen und die Sonne scheint: Es könnte ein ganz normaler Vorfrühlingstag sein. Nur der leere Strand, die ungewohnt wenigen Menschen auf den Wegen und der zwanghaft eingehaltene Abstand zueinander lassen auf das neue Leben in Corona-Zeiten schließen.

Am Nachmittag facetime ich das erste Mal seit der Quarantänezeit mit verschiedenen Freunden. Erst als ich die Gesichter wieder sehe, merke ich, wie sehr ich diese Menschen doch vermisse. Die Zeit hier vergeht so schnell und man gestaltet sich den Tag jeden morgen irgendwie aufs neue, doch diese kleinen Gespräche machen mich plötzlich sehr traurig. Allein der Gedanke, dass ich nicht weiß, wann ich diese Menschen wiedersehen werde, bedrückt mich mit einem Mal unsagbar. In unserer kleinen Höhle, die wir uns hier errichtet haben, vergisst man die Zeit, lebt einfach vor sich hin. Dann gibt es aber die Momente, die einem eine Realität vor Augen führen, die man so noch nie gekannt hat.

Mein Tipp heute: Werdet produktiv und helft!

Gerade haben wir begonnen uns Gedanken darüber zu machen wie wir Hilfe leisten können. Bei REWE oder Aldi aushelfen, ältere Menschen bei ihren Einkäufen unterstützen oder auf den Feldern als Erntehelfer arbeiten. Ein jeder von uns sehnt sich danach endlich wieder produktiv zu sein und Teil einer Besserung.

Mein Tipp heute: Wenn ihr nicht wie wir gerade in Quarantäne sitzen müsst, schaut euch um und werdet Teil der zahlreichen Projekte und Aktionen dieser Tage. Auf nebenan.de könnt ihr euch beispielsweise mit euren Nachbarn connecten und sehen, wer Hilfe braucht bei Kinderbetreuung oder Einkäufen. Über die Seite silbernetz.org könnt ihr mit älteren Menschen telefonieren und ihnen vielleicht ein Stück Einsamkeit nehmen. Jede Geste zählt.

Aufregung, Langeweile, Lagerkoller – hier lest ihr weiter, wie die WG die ersten Tage der Quarantäne gemeistert hat

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Der kuriose Briefmarkensammler in der Bibliothek oder ein mal zu Späßen aufgelegter Busfahrer – es sind die kleinen wunderbar skurrilen Alltagsgeschichten unserer Großstadt, die ich mit meinen Worten einfangen will. Ich, eine waschechte 18-jährige Berlinerin, die neben dem geschriebenen Wort auch ein großer Fan von guter Musik und Woody-Allen-Filmen ist. Schreiben bedeutet für mich reflektieren, verstehen und sich einfach mal fallen zu lassen, ganz nach Frau Lindgrens Devise: „Man muss so schreiben, dass es für einen selbst eine Freude ist, sonst kann es auch für andere keine Freude sein.“