Boxmeisterin Zeina Nassar: „Man muss lernen, Niederlagen anzunehmen“

Zeina Nassar weiß, was es heißt, sich durchzukämpfen: Sie ist dreifache Berliner Boxmeisterin – und gläubige Muslima. Als erste Frau in Deutschland stieg sie mit Kopftuch in den Ring.

Von Leonie Schlick, 22 Jahre

Ein Café an der Karl-Marx-Allee in Neukölln, Zeina Nassar nippt an ihrem Pfefferminztee. Die 19-Jährige ist dezent geschminkt, trägt ein dunkles Kopftuch und ein buntes Sweatshirt. Interviewtermine wie diesen sei sie mittlerweile gewohnt, sagt sie. Seit einigen Monaten habe sie viele Pressetermine, drehe Fernsehbeiträge. Zeina ist erfolgreiche Boxerin. 2014, 2015 und 2016 wurde sie Berliner Meisterin, im Herbst wird sie ihren Titel verteidigen. Außerdem ist sie Mitte Oktober zum ersten Mal bei den Deutschen Meisterschaften dabei. „Ich war schon immer sportbegeistert“, erklärt sie. Schon als junges Mädchen habe sie verschiedene Sportarten ausprobiert. Zum Boxen kam sie schließlich vor gut sechs Jahren, nachdem sie sich Videos von boxenden Frauen angesehen hatte. „Ich war sofort fasziniert und bin zusammen mit einer Freundin zum Probetraining gegangen“, erinnert sie sich. Nach eineinhalb Jahren Training bestritt sie ihren ersten Wettkampf – und verlor. „Das hat meinen Kampfgeist geweckt.“ Seitdem hat sie bei elf offiziellen Wettkämpfen zehn Siege eingefahren. „Dabei geht es weniger ums Gewinnen und Verlieren als um Leistung. Man muss lernen, Niederlagen anzunehmen.“ Zeina spricht mit starker Stimme, ihre Antworten kommen manchmal wie aus der Pistole geschossen. Redet sie über das Boxen, wird sie sehr ernst. Man merkt der jungen Frau an, dass sie durch und durch Sportlerin ist. Leistung, Disziplin, Respekt – diese Werte sind ihr sehr wichtig. In den Semesterferien trainiert sie bis zu fünf Mal die Woche, nebenbei geht sie Schwimmen, spielt Basketball. Sie komme aus einer sportlichen Familie, erzählt sie. Trotzdem sei es nicht ganz leicht gewesen, die Eltern davon zu überzeugen, ihre Tochter zum Boxtraining gehen zu lassen: „Sie fanden den Sport zu gefährlich für eine Frau.“ Heute sind die Eltern ihre größten Fans, die Mutter begleitet sie zu fast jedem Wettkampf.

„Durch das Kopftuch bin ich meiner Religion nahe.“

Zeina ist in Kreuzberg aufgewachsen, ihre Eltern kommen aus dem Libanon. Sie ist gläubige Muslima, trägt das Kopftuch auch beim Boxen. 2013 wurden deshalb die bundesweiten Wettkampfbestimmungen für sie geändert. Als erste Frau überhaupt kämpfte sie in Deutschland mit Kopftuch. Für Zeina ist das eine Selbstverständlichkeit: „Durch das Kopftuch bin ich meiner Religion nahe.“ Trotzdem werde sie oft gefragt, ob sie denn das Kopftuch zum Kämpfen nicht abnehme. Darüber kann sie nur schmunzeln. Das Kopftuch sei ja nichts, was sie je nach Bedarf einfach abnehmen könne, sondern Teil ihrer Identität. „Besonders vor einem Kampf gibt mir mein Glaube Kraft und Motivation.“

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Zeina steht in der Öffentlichkeit, sie wird regelmäßig angefeindet, vor allem im Internet. Dort gibt es Hasskommentare gegen sie, sogar solche, in denen ihr der Tod gewünscht wird. Sie wird angegriffen dafür, dass sie als Frau eine Boxerin und gleichzeitig Muslima ist. „Für manche Menschen scheint das ein Widerspruch zu sein“, glaubt Zeina. Sie versuche, sich davon nicht zu stark beeinflussen zu lassen.  Sicher, am Anfang sei sie schnell verletzt gewesen. „Mittlerweile ignoriere ich das und sehe es eher als Motivation.“ So wie Zeina das sagt, glaubt man es ihr, denn die junge Frau erhält auch viel Zuspruch und Unterstützung. Gleichzeitig möchte sie ein Vorbild sein, zeigen, was man alles schaffen kann, wenn man an sich glaubt: „Ich will Frauen motivieren, für ihre Ziele einzustehen und ermutigen, das zu machen, worauf sie Bock haben.“

Zeina hat das schon immer gemacht. Neben dem Sport spielt sie leidenschaftlich gern Theater, mittlerweile auch professionell. Seit 2016 ist sie Laienschauspielerin in der Inszenierung „Stören“ am Maxim-Gorki-Theater. Darin geht es um alltäglichen Sexismus, die sechs Darstellerinnen haben ihre eigenen Erfahrungen einfließen lassen.

Sie ist es zwar gewohnt, sich durchboxen zu müssen, trotzdem ist sie etwas frustriert.

Beruflich möchte Zeina allerdings etwas anderes machen: Lehrerin werden. Dass sie ein Kopftuch trägt, bereitet ihr allerdings auch hier wieder Probleme. Für das Fach Sport müsse sie eine Sporteignungsprüfung machen, es sei unklar, ob sie diese auch mit einem Badeanzug ablegen darf, der bis zu den Knöcheln geht und die Arme bedeckt. Zeina seufzt. Sie ist es zwar gewohnt, sich durchboxen zu müssen, trotzdem ist sie etwas frustriert.

Zurück zum Sport, Zeina kramt in ihrer Tasche, holt zwei Miniatur-Boxhandschuhe bedruckt mit der libanesischen Flagge heraus. „Die bringen mir Glück“, sagt sie. Dann zeigt sie ihre neu angefertigten Autogrammkarten, lächelt. Das Kämpfen, es lohnt sich.

Foto: Vico Leon

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