Verehrt und verteufelt: Unter den Lebensmitteln ist Zucker die generationenübergreifende “Lieblingsdroge” der Menschheit. Foto: Kirill Makarov/Fotolia

Abbruch nach 30 Tagen: Lauras Zuckerfasten-Tagebuch

Laura hat ihr Zuckerfasten-Experiment vorzeitig abgebrochen. Warum, lest ihr in ihrem letzten Tagebucheintrag.

Eintrag 6: 22. März 2016

Endlich – ich habe meine Fastenzeit offiziell beendet. Schon seit einigen Tagen habe ich über meinen geliebten Zucker sinniert. In Gedanken war er immer bei mir. Sogar ganze Teile eines Kinofilms habe ich verpasst, weil ich bei einer XXL-Tüte Popcorn mit einem Freund über Verzicht – oder sollte ich eher Kasteiung sagen? – diskutiert habe, sodass die Bilder auf der Leinwand verblassten. Sein Standpunkt hat mich ziemlich überzeugt: Wenn es sich bei meiner Art des Fastens um ein reines Selbstdisziplin-Experiment handelt, dann reichen doch auch 20 oder 30 Tage, meinte er. Warum sollte sich der Mensch 40 Tage lang etwas verbieten, was scheinbar beinahe zu einem Grundbedürfnis geworden ist? Mal drei Tage nicht zu schlafen ist eine interessante und zumutbare Erfahrung, aber sich 40 Tage lang Streichhölzer zwischen die Lider zu klemmen und dem Körper etwas zu entziehen, an das er seit seiner Geburt gewöhnt ist, ist ja auch Quatsch! Sicher verstehe ich, dass zwischen Schlaf und Zucker ein Unterschied besteht – Schlaf ist überlebenswichtig, Zucker wird schon seit Jahrzehnten verteufelt.

Dennoch stellte ich mir die Frage, wie schlecht Zucker denn tatsächlich für mich ist. Zumindest subjektiv betrachtet haben die rund 30 Tage nichts an mir geändert. Ich fühle mich weder leistungsstärker noch fitter, wacher, leichter oder glücklicher. Im Internet stieß ich auf zahlreiche Artikel, in denen healthy Blogger von ihrem noch viel härteren Zuckerverzicht berichteten. Und siehe da: Nicht mal denen ging es mehrheitlich besser! Diese Ergebnisse befriedigten mich vorerst.

Gleichzeitig brachten sie mich aber einmal mehr zum Grübeln über Verbote und Grenzen, die wir Selbstoptimierer von heute uns setzen. Eigentlich sind  radikale Einstellungen wie ‚ganz oder gar nicht‘ doch eh nicht mein Ding. Diese Erkenntnis ist jetzt nicht besonders neu, aber auch über meinem Zuckerkonsum soll in Zukunft wieder das spießige Mantra ‚alles in Maßen‘ schweben.

Eines der größten Probleme war für mich die Tatsache, dass ich über das Fasten berichtet habe.

Ich dachte, ich dürfe nicht enttäuschen, ich müsse durchhalten und am Ende eines Fastentagebuchs stets schreiben, welchen positiven Effekt diese krasse Erfahrung auf mich hat. Dass ich mich jetzt unglaublich gesund fühle, nun sooo viele tolle alternative Rezepte kenne und sowieso und überhaupt das ganze Leben und die Welt schöner seien. Aber dann dachte ich mir, dass eine authentische Berichterstattung doch das ist, womit sowohl der Autor als auch die Leser am besten Leben können.

Abgesehen von alledem musste ich das Zuckerfasten jäh an den Nagel hängen, als ich vor ein paar Tagen mit einer Gastritis ins Krankenhaus kam. Nachdem ich erst eine Weile rückwärts und dann ein paar Tage nichts gegessen hatte, aß ich schließlich das, was mir vorgesetzt wurde. Als ein Mensch, der sich Edelsteine ins Trinkwasser legt und irgendwo an das Schicksal glaubt, deklariere ich diesen Vorfall im Nachhinein als Hilferuf meines Körpers nach dem, wonach er sich so sehr sehnte: Zucker!

Verehrt und verteufelt: Unter den Lebensmitteln ist Zucker die generationenübergreifende “Lieblingsdroge” der Menschheit. Foto: Kirill Makarov/Fotolia
Verehrt und verteufelt: Unter den Lebensmitteln ist Zucker die generationenübergreifende “Lieblingsdroge” der Menschheit. Foto: iStockphoto/Kirillm

„Sugar how you get so fly?“

Eintrag 5: 28. Februar 2016

Auch heute muss ich wieder Beichte ablegen: Während eines Venen-Checks am Freitag bin ich zweimal leicht in Ohnmacht gefallen, was bei einer solchen Untersuchung laut Ärztin aber nichts Seltenes ist. Dumm nur, dass es gerade Zucker ist, der einen neben einem Glas Wasser nach solchen Sachen wieder auf die Beine bringt. Also gab es für mich einen kleinen Brownie, den mir die Schwester umgehend brachte. Dafür, dass dieser eingeschweißt und sicher schon ein paar Wochen alt war, habe ich ihn über alle Maßen genossen. Wäre ich zum Tode verurteilt, ich hätte diesen Brownie zur Henkersmahlzeit auserkoren! Nichtsdestotrotz merke ich, dass mein Verlangen nach Zucker nachlässt. Viel nerviger ist es, den unbewussten Konsum des kristallinen Giftes zu vermeiden. Und apropos Kristalle: Am Sonntag habe ich mir auf dem Flohmarkt einen Lepidolith gekauft, den man in ein Wasserglas legen und so positive Energie aufnehmen kann. Zuhause habe ich mich über seine Wirkung belesen und mit Freuden festgestellt, dass er unter anderem die Selbstdisziplin fördern soll. Wieder einmal ein Wink meines Unterbewusstseins: Vielleicht ist nicht Isolation, sondern Esoterik der richtige Weg zur Erkenntnis?!

Eintrag 4: 23. Februar 2016

Heute ist Tag 14. Gestern bin ich schwach geworden. Aber nur kurz. Und nur, weil ich musste! Nach einem Geburtstagsessen beim Chinesen habe ich tatsächlich zwei Glückskekse gegessen. Schande über mich! So schlecht habe ich mich sonst nicht einmal nach wirklich gravierenden Völlerei-Gelagen gefühlt. Wo das Zuckerfasten für mich doch ein Experiment zum Thema Selbstbeherrschung und Disziplin sein sollte. Aber was soll ich tun, wenn das Geburtstagskind darauf besteht? Gruppenzwang und der Druck, seinen Mitmenschen nicht den Abend zu versauen, sind fast stärker, als mein eigenes Bedürfnis, Zucker zu konsumieren. Nun gut, einmal ist keinmal. Dafür schreibe ich im Geiste regelmäßig an einem Wunschzettel. Auf dem Wunschzettel stehen alle Dinge, die ich mir nach Ende der Fastenzeit kaufen möchte. Inspiration dafür geben mir Freunde, die ungeniert in meiner Gegenwart Oreos und Fruchtbonbons essen oder Backrezepte austauschen. Muss mein Experiment in totaler Isolation enden, um zu glücken? Warten wir’s ab.

Eintrag 3: 16. Februar 2016

Fast eine Woche lang habe ich schon durchgehalten, tapfer jedes verpackte Lebensmittel zweimal umgedreht und auf seine Inhaltsstoffe geprüft, selbstgebackenen Kuchen abgelehnt und auch den Konsum von Valentinstagspralinen verweigert. Ich bilde mir fleißig ein, dass es bisher doch noch gar nicht so schlimm ist. Bis ich merke, dass mein Unterbewusstsein längst Inception mit mir spielt und heimlich nach Zucker schreit, oder warum höre ich plötzlich Robin Schulz’ „Sugar“ in Endlosschleife, obwohl der Song aus dem letzten Jahr ist?!

Eintrag 2: 12. Februar 2016

Zwei Tage Fastenzeit sind rum – und schon merke ich, dass auch in Sachen Zucker der Teufel im Detail steckt: Ketchup, eingelegte Gurken, Toastbrot, Prosecco, Hustenbonbons, Apfelsaft – der kristalline Lebensmittel ist fast überall enthalten. Gar nicht so leicht, nicht aus Versehen in die Zuckerfalle zu tappen. Zum Glück habe ich mir vor dem Start meines Experiments Fruchtzucker erlaubt. Mit Bananen und tiefgefrorenen Weintrauben halte ich mich vorerst über Wasser.

Eintrag 1: 10. Februar 2016

Heute beginnt die 40-tägige Fastenzeit. Bis Ostern üben sich nun wieder unzählige Menschen, nicht nur gläubige Christen, im Verzicht auf etwas, ohne das sie sonst nicht leben können. Ich habe mich bewusst für den Verzicht auf industriellen Zucker entschieden, weil ich nicht gerade die größte Naschkatze bin und mir sicher bin, meinen Vorsatz ohne größere Auseinandersetzungen mit meinem inneren Schweinehund einhalten zu können.

Von Laura Patz, 21 Jahre

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Kategorien Lifestyle Zwischendurch

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