Wahlhelfer – mein unfreiwilliges Ehrenamt

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor ein paar Tagen einen Brief aus dem Briefkasten nahm, dachte, es sei die Wahlbescheinigung und las: „Die Tätigkeit in einem Wahlvorstand ist ehrenamtlich. Zur Übernahme dieses Ehrenamtes ist jeder Wahlberechtigte verpflichtet. Die unbegründete Ablehnung des Ehrenamtes stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einer Geldbuße belegt werden.“

Oha. Zum Ehrenamt verdonnert, das geht? Nun gut, kann man ja mal machen. In wenigen Tagen beginne ich mein Studium. Für eine Geldbuße ist das Konto zu leer. Also begebe ich mich nach dieser charmanten Aufforderung nicht ganz freiwillig zum Pankower Rathaus, um bei der Auswertung der Briefwahl-Unterlagen zu helfen. Ich betrete die prunkvolle Eingangshalle des Gebäudes. Mein Weg führt mich in ein kleines Büro, wie man es von so vielen Bürgeramts-Besuchen kennt. Die Einrichtung ist steril. In der Ecke steht ein Flip-Chart. Zwei Trockenpflanzen schmücken das Regal. Grelles Neonlicht erhellt das Szenario.

Schnell lerne ich meine Mitzähler kennen. Ich bin der einzige, der zu dieser Tätigkeit verdonnert wurde. Alle anderen sind freiwillig hier. Sie entstammen verschiedener sozialer Schichten. Auch altermäßig sind wir gut durchmischt. Eine Abiturientin, eine Rentnerin, ein Landschaftsbauer und natürlich die Business-Lady, die Abends noch zum Flieger muss.

Punkt 16 Uhr öffnen wir die Urnen. 1064 rote Wahlbriefe verteilen sich über den gesamten Tisch und bilden einen Berg von Papier. Wir öffnen die Briefe und sortieren nach korrekten und ungültigen Wahlbescheinigungen und Stimmenkuverts. Jeder arbeitet für sich – still und mechanisch.

Nach gut zwei Stunden gehen wir zum nächsten Arbeitsschritt über. Wir öffnen die blauen Kuverts und sortieren nach Erst-, Zweit- und BVV-Stimme. Spätestens jetzt wird jedem klar, worauf er sich eingelassen hat. Nun werden die Mitglieder des Wahlvorstandes immer gesprächiger, und lockerer. Wenn man seinen Sonntag schon mit so einer eintönigen Arbeit verbringt, dann doch wenigstens mit Spaß. Es dauert nur wenige Minuten, und ich sehe mich in Gespräche über Hamburg, Tango und Sushi verwickelt, während ich weiterhin wie ein Roboter Papiere sortiere.

Dann müssen wir uns konzentrieren. Die jeweiligen Stimmzettel werden auf die einzelnen Parteien verteilt. Bald bilden sich Stapel an denen sich erkennen lässt, welche Volksvertreter dieses Jahr besser abschneiden als ihre Kollegen. Positiv zu erwähnen ist, dass von den 1064 Briefwählern unseres Wahlabschnitts nur einer auf die Idee kam, seine Stimme der NPD zu geben. Zu guter Letzt zählen wir in akribischer Manier die Stimmen der einzelnen Parteien und tragen sie in eine Tabelle ein. Nach fünf Stunden monotoner Arbeit und leichten Kopfschmerzen fühle ich mich trotzdem gut. Denn heute war ich Teil unserer Demokratie.

Das könnte Dich auch interessieren

Kategorien Mitmischen Politik

Auf spreewild.de berichten wir über alles, was uns bewegt – über Schule, Politik und Freizeit, Liebesglück und -kummer oder den Schlamassel mit der eigenen Zukunft. Wir bieten Hintergrundgeschichten zu den Artikeln, die wir auf der Jugendseite veröffentlicht haben, stellen Fotos und Videos ins Netz. Dazu gibt es die Fotoserien der Jugendredaktion, Musik-, Buch- und Filmbesprechungen sowie all die Fragen, die uns die Prominenten jede Woche stellen.