Foto: FOTOLIA/DIEGO CERVO

Die Veranstaltung „Bestattung Paula“ ist heute

Wird in Zukunft nicht nur das Leben, sondern auch der Tod auf Facebook zelebriert? Ein Gedankenexperiment

Ploppt im Facebook-Feed ein Post von Michael Jackson auf, ist das für einen kurzen Moment sehr irritierend. Darüber, ob PR-Agenten die Accounts Verstorbener für Werbezwecke weiterführen sollten, lässt sich streiten. Tatsächlich stellt sich die Frage, was nach dem Tod mit dem eigenen Konto passiert, aber immer häufiger. Das Landesgericht Berlin entschied nun, dass die Accounts Teil des Erbes sind. Werden wir bald via Facebook zu Beerdigungen eingeladen? Unsere Autoren haben sich in ein solches Szenario hineingedacht – und sich gefragt, wie wohl sie sich damit fühlen würden.

Optimist: Kalter Wind schlägt mir ins Gesicht, als ich das Deck betrete. Passend zum Anlass trägt der Himmel grau. Als Paulas Asche aus der Urne in die rauschende Ostsee gestreut wird, beginnt es zu regnen. Mein Handy vibriert in der Jackentasche. Facebook erinnert mich an den Beginn eines Events: „Die Veranstaltung ,Bestattung Paula‘ ist heute.“ Ich scrolle im Verlauf meiner Timeline. „Paula Arendt hat ein Event erstellt: Abschiedsfeier.“ „Paula Arendt hat eine Umfrage geteilt: Seebestattung oder Beisetzung auf dem Dorffriedhof?“ „Paula Arendt hat die Gruppe RIP Paula gegründet und lädt dich ein.“ Ich stecke das Handy zurück in meine Jackentasche. Meine Finger sind kalt, wirre Gedanken fliegen in meinem Kopf umher wie die Möwen im Wind. Paula ist seit ihrem plötzlichen Tod vor vier Wochen auf den Social-Media-Plattformen aktiver als in den 19 Jahren ihres Lebens. Ein paar Klicks und ihre Eltern hatten aus ihrem Profil eine geschmackvolle Memorial-Seite gebastelt: grau hinterlegte Fotos, Best-Moments-Videos. Besonders gerne mag ich die Bilder der Abifeier von vor einem Jahr. Als Seglerin hatte sie nie Angst vor dem Wasser. Waghalsige Videos zwischen hohen Wellen hatten die „Gefällt mir“-Angaben in den vergangenen Tagen hochgetrieben. Als materieller Mensch sitzt sie nun nicht mehr neben mir in der Unibibliothek, aber als lebhafte Erinnerung wird sie mir dank Facebook immer im Gedächtnis bleiben. Aniko Schusterius, 19 Jahre

Werden wir in wenigen Jahren in unserem Facebook-Feed neben Food-Fotos und Katzenvideos auch Einladungen zu Beerdigungen von Freunden finden? Foto: FOTOLIA/DIEGO CERVO.
Werden wir in wenigen Jahren in unserem Facebook-Feed neben Food-Fotos und Katzenvideos auch Einladungen zu Beerdigungen von Freunden finden? Foto: FOTOLIA/DIEGO CERVO.

Pessimist: Am Dienstag ist Paula gestorben. Noch immer bewege ich mich wie betäubt durch den Alltag. Ich kann nicht glauben, dass ich eine meiner besten Freundinnen für immer verloren habe. Auf ihrem Facebook-Profil gibt es mehr als 100 Fotos, auf denen sie markiert ist. Die jüngsten zeigen ihre letzte Minute: Paula mit entschlossenem Gesicht über dem Abgrund, dann ein elfsekündiges Video von ihrem Sprung. Ich verstehe plötzlich, warum sich so viele Menschen mittlerweile gegen diese blaue Hölle sperren. Der Grat zwischen spannend und geschmacklos bis widerlich ist in den vergangenen Jahren gefährlich schmal geworden. Auch Paulas Bestattung war, zumindest für mich, eine einzige Farce: 30 Angehörige und Freunde standen auf der Facebook-Gästeliste, weitere zehn hatten auf „interessiert“ geklickt. Am Ende standen wir zu fünft an der Reling, als Paulas Asche in die Ostsee gestreut wurde. Spontan auf „Absage“ zu klicken oder auf die Pinnwand der Verstorbenen zu ­schreiben „Sorry, schaff’s heute leider nicht mehr …#yolo“ ist heutzutage eben bequemer, als sich dem Seegang, dem Wind und den eigenen Gefühlen zu ­stellen. Laura Patz, 21 Jahre

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Kategorien Gesellschaft Medien Social Media Zwischendurch

90er-Kid, Bücherwurm, Weltenbummler. Ich liebe Musik und das geschriebene Wort. Letzteres kann man von mir seit 2012 hier lesen. Meine große Leidenschaft gilt dem Theater, das mich mehr als alles andere fasziniert. Wenn ich durch die Straßen Berlins laufe, kommt mir das Leben vor wie eine Aneinanderreihung vieler kleiner Inszenierungen, deren Geschichten alle festgehalten werden wollen. So inspiriert mich unsere Hauptstadt stetig zu neuen Themen für unsere Seite.