Beim „Slam des Westens“ treten junge Poetry-Slammer in einen dichterischen Wettstreit. Ein Besuch
Sie betritt die Bühne, nimmt das Mikrofon in die Hand und holt tief Luft: „Danach, unter der Dusche, wusch sie die Erinnerung weg. Und diese kam erst wieder, als sie die Nachrichten las an ihre Freundin, die sie mitten in der Nacht, voller Angst, geschrieben hatte.“ Konzentriert trägt Leonie Herzig ihren Text vor. Manchmal gerät sie kurz ins Stocken, fängt sich aber schnell wieder und spricht weiter.
Nach fünf Minuten verlässt sie unter Applaus wieder die Bühne. So verlangen es die Regeln beim „Slam des Westens“. Fünf Poeten tragen dabei einen Dichterwettstreit gegeneinander aus. Sie geben ihre selbst geschriebenen Gedichte und Prosatexte zum Besten und müssen mit dem Inhalt und der Performance das Publikum überzeugen. Die Publikumsjury bewertet jeden Auftritt der Poeten mit Punkten von eins bis zehn. Von Runde zu Runde wird sowohl die Anzahl der Poetry Slammer als auch deren Vortragszeit reduziert. Bis am Ende ein Gewinner übrig bleibt.
Rasches Ende
Die 18-jährige Leonie scheidet in der zweiten Runde aus. Sie kann das Publikum mit ihrem ernsten Text über sexuelle Gewalt nicht überzeugen. Dabei war es ihr gerade dieses Thema so wichtig – die Opfer, über die sie spricht, stammen aus ihrem persönlichen Umfeld. „Ich bin nicht enttäuscht von der Reaktion des Publikums, heute hat es anscheinend mehr Lust auf unterhaltsame Inhalte“, sagt Leonie. Doch ihre Augen verraten, dass ihr der Misserfolg doch nahegeht. Für sie sei es trotzdem schön gewesen, vor Publikum aufzutreten und sich auszuprobieren. „In Zürich gibt es nicht so viele Möglichkeiten zu slammen wie hier“, berichtet die gebürtige Schweizerin. Gerade ist sie für drei Monate in Berlin, um Schauspielkurse zu belegen.
Damals westlichster Slam in Berlin
Mit 14 Jahren stand Leonie zum ersten Mal als Poetry-Slammerin auf der Bühne. „Zwischenzeitlich habe ich mein Hobby wegen der Schule aus den Augen verloren, doch jetzt hänge ich mich wieder voll rein.“ Aber manchmal fehle es ihr noch an Übung und Erfahrung. Das falle ihr besonders auf, wenn sie gegen ältere Slammer antritt. Tom Mars ist einer davon, er zählt zu den erfahreneren Poeten. Doch heute Abend tritt er nicht an, sondern ist Veranstalter und Moderator des „Slam des Westens“. Vor etwa sechs Jahren rief er den Dichterwettstreit in Schöneberg ins Leben. „Zu dem Zeitpunkt waren wir der westlichste Slam in Berlin, daher der Name der Veranstaltung“, erklärt er.
Die Finalrunde hat begonnen. Leonie schaut zu. Die beiden verbliebenen Kandidaten dürfen nur noch einen Satz sagen. Anschließend ist es am Publikum, den Gewinner zu küren, indem sie eine Wäscheklammer an ihrem Favoriten befestigen. Diesen Slam gewinnt der einzige männliche Teilnehmer. Er hat auf Witz und Unterhaltung gesetzt und damit den Nerv des Publikums getroffen.
Von Roswitha Engelen, 21 Jahre
Der „Slam des Westens“ findet jeden 4. Mittwoch in ungeraden Monaten im Aha in Schöneberg statt. Mehr Infos unter www.facebook.com/SlamdesWestens