Interview

„Echter Sex ist nicht immer schön“: Neues Buch von Henriette Hell

In Ihrem neuen Buch „Erst kommen, dann gehen“ beschreibt Henriette Hell humorvoll die Facetten des alltäglichen Sexlebens von A bis Z. Im Interview verrät sie uns ihre Lieblingssexgeschichte, warum wir mehr über Sex reden müssen und wer ihr Buch auf keinen Fall lesen sollte.

Interview: Tamina Grasme, 21 Jahre

Spreewild: Eigentlich ist Sex ja immer noch ein Tabu-Thema in der Öffentlichkeit. Wieso hast du mit „Erst kommen, dann gehen“ dennoch ein weiteres Buch dazu geschrieben?

Henriette Hell: In manchen Buchläden läuft mein Buch unter „Humor“ – und das zu Recht. Denn ich ziehe dabei einen Querschnitt durch das Liebesleben der „Generation Y“. Ungeschönt. Meine „Sexbibel“ besteht aus skurrile Anekdoten über peinliche Sexunfälle und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass Körper, der uns die wunderbarsten Orgasmen schenkt, gelegentlich merkwürdige Geräusche oder Gerüche absondert. Aber das macht nichts. Pannen beim Sex schweißen zusammen! Darüber sollte man viel öfter sprechen, denn mir ist schon häufig aufgefallen, dass sich die Probleme meiner Freunde oft so gar nicht mit dem decken, was uns Werbung, Film- und Fernsehindustrie inklusive Pornos und Lifestylemagazine als normales oder erstrebenswertes Liebesleben verkaufen wollen. Von allen Seiten wird uns vorgegaukelt, wir müssten perfekt sein, um den richtigen Partner zu finden und halten zu können. Aber das ist Quatsch! Perfektion ist nichts als langweilig. Vor allem wenn es um Intimität geht. Wer, bitte, braucht vorgetäuschte Orgasmen, gekünsteltes Stöhnen oder pornöse Verrenkungen nach Drehbuch?

Dein neues Buch wird im Untertitel als „Sexbibel des 21. Jahrhunderts“ betitelt – an wen richtet sich denn diese Bibel und wer sollte das Buch auf keinen Fall lesen?

Es richtete sich an alle, die eigentlich bloß eins wollen: Spaß im Bett – oder wo man es sonst so macht. Wem es an Weltoffenheit, schmutzigem Humor und einer gewissen Vorliebe für leicht „Abgefucktes“ fehlt, sollte stattdessen lieber die Finger von meinem Buch lassen. Solch eine Person würde sich nur aufregen, weil sie die Kreise der Generation Y, also gelaunte Hedonisten um die 30 aus der Großstadt, in denen ich mich bewege, vermutlich weder kennen noch begreifen würden. Wer grundsätzlich ein Problem mit Frauen hat, die ihre Sexualität selbstbewusst ausleben und ihre Bedürfnisse einfordern, stammt vermutlich noch aus dem Mittelalter, wir und wird mit meinem Buch auch nicht viel anfangen können.

Befolgst du selbst strickt deine Tipps und Regeln, die du den Leser*innen im Buch gibst?

Wenn ich schreibe, dass unser Arbeitsplatz der beste Ort für Sex ist und wir ruhig mal eine Affäre mit einem Kollegen anfangen sollten, dann ist das natürlich nicht wörtlich zu nehmen. Es geht eher um das Dilemma, dass wir im Büro, hinterm Tresen oder wo auch immer wir sonst arbeiten tagsüber noch total fit sind – und sobald wir abends nach Hause kommen, geht außer „Netflix & Chill“ nicht mehr viel. Darunter leidet natürlich die Beziehung. Vielmehr möchte ich mit diesem Kapitel zum Nachdenken anregen: 40-Stunden-Woche, Überstunden, nur noch für den Job leben – das kann es doch nicht sein!

Du beschreibst nicht nur deine, sondern auch die Erlebnisse deiner Freunde. Wird in deinem Freundeskreis generell sehr offen über das Sexleben geplaudert oder wie hast du deine Freunde dazu gebracht, dir diese intimen Geschichten zu erzählen?

Das geschah von selbst! Ich höre gut zu, wenn in meinem Umfeld offen über Sex gesprochen wurde. Das passiert häufig, weil mich viele seit der Veröffentlichung meines ersten Buches „Achtung, ich komme!“ für so eine Art Dr. Sommer halten und sich gerne von mir beraten lassen oder mir eben Inspiration liefern. Die besten Erzählungen für mein Buch habe ich literarisch noch einmal nacherlebt. Ich kann wirklich von Glück reden, dass meine Freunde in sexueller Hinsicht so herrlich extrovertiert und auskunftsfreudig sind. Besonders amüsant fand ich die Erzählungen eines Freundes zum Thema „Kneipensex“. Ein sehr lustiges Kapitel … Die Geschichten sind aber von mir so verfremdet, dass sich niemand wiedererkennen wird.

Hast du eine Lieblingsanekdote und wenn ja, warum genau diese?

Ich mag die Geschichte über das Mädchen, das im Karibikurlaub unbedingt Cybersex mit ihrem daheimgebliebenen Freund haben will. Blöderweise ist das W-Lan in ihrer Strandhütte so schlecht, dass immer nur eins steht: die Internetverbindung oder das beste Stück ihres Freundes. Alle ihre sexy Verrenkungen sind für die Katz!

Die Geschichte ist deshalb so gut, weil sie auf charmante Weise zeigt wie viel Mühe es macht, das Feuer in einer Fernbeziehung auch nach Jahren noch aufrecht zu erhalten. Dabei wäre eine selbstgeschriebene Postkarte in dem Fall viel cooler gewesen …

Und gibt es schließlich eine Botschaft, die du mit deinem neuen Buch verbreiten möchtest?

Ich wünsche mir für uns alle einen lässigen, unverkrampften Umgang mit dem Thema Sex. Ohne Druck und Selbstzweifel. Dazu gehört für mich in erster Linie, dass wir Menschen nicht dafür verurteilen, wenn sie für sich gegen etablierte Beziehungsmodelle entscheiden. Jeder Mensch ist mal Single oder in einer festen Beziehung. Irgendwann kommen dann Ehe, Kinder, vielleicht eine Scheidung … meist in exakt dieser Reihenfolge. Aber warum eigentlich? Wer zwingt uns dazu, diese gelernten Modelle alle schön brav nacheinander durchzuspielen – obwohl uns vielleicht Phase X viel besser gefallen hat als jene, in der wir aktuell stecken? Um noch deutlicher zu werden: Das „normale“ Mutter-Vater-Kind-Modell ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Was spricht also dagegen, seine Beziehung zu öffnen, wenn man merkt, dass man nicht dazu gemacht, ist monogam zu leben? Mit meinem Buch möchte ich zu neuen Denkansätzen anregen.

Wichtig war es mir auch, mit den bereits erwähnten utopischen Vorstellung von Sex nach Film und Fernsehen aufzuräumen. Im Kinohit „Fifty Shades of Grey“ genügen ein paar Stöße – und die bis dato noch jungfräuliche Hauptdarstellerin kommt gleichzeitig mit ihrem Lover zum Orgasmus. Unrealistischer geht’s nicht! Trotzdem denken viele Zuschauer, es sei normal, was in solchen Streifen gezeigt wird – und bewerten ihr eigenes Sexleben als dementsprechend schlechter. Ich möchte mit solchen Klischees aufräumen und zeigen, dass echter Sex anders ist. Er ist nicht immer bloß schön – sondern auch oft peinlich, verstörend, emotional aufwühlend und ein bisschen verrückt.

Henriette Hells neues Buch „Erst kommen, dann gehen – Die Sexbibel des 21. Jahrhunderts“ ist am 14. Juli als Taschenbuch im Ullstein-Verlag erschienen.

Foto: Dennis Williamson

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Kategorien Interview Kultur Literatur

Wenn ich, 22, eine Top 5-Liste mit Sätzen, die ich in den vergangenen drei Jahren am häufigsten gehört habe, aufstellen würde, wäre „Was wird man denn so nach einem Geschichtsstudium?“ ganz weit oben vertreten. Zum Glück habe ich mittlerweile eine Antwort darauf gefunden: Journalistin. Darauf gekommen bin ich durch das Lesen von Harald Martensteins Artikeln, der selber Geschichte studiert hat. Von ihm habe ich auch meinen neuen Zukunftsplan: einfach immer schreiben. Genau das mache ich jetzt hier bei Spreewild, nachdem mir mein Praktikum in der Jugendredaktion so gut gefallen hat.