Interview

Sookee: „Du kannst mich auf jede Zeile festlegen“

Ihr Herz schlägt links außen – und für den deutschen HipHop. Die Berliner Rapperin Sookee verbindet mitreißende Beats mit politischen Texten und kämpft mit einer starken Stimme gegen sexistische Strukturen. In der Szene und der Gesellschaft. Feminismus und Rap?

Auf deiner neuen Platte „Mortem & MakeUp“ machst du wieder knallharte Ansagen, aber manche Tracks rühren zu Tränen. Woher kommt plötzlich dieses emotionale Storytelling?
Es stand ja immer der Vorwurf im Raum, es gäbe viel Ballast in meinen Texten, viele Begriffe. Ist das noch Kunst oder gerappter Uni-Text? Diese Kritik habe ich sehr ernst genommen und mich gefragt, ob man das nicht auch anders vermitteln kann. Ich wollte inklusiver sein und Leute einladen.

„Diesmal habe ich in der Konzeptionsphase viel mit Leuten geredet.“

Das gelingt dir zum Beispiel mit „Hurensohn“, einem Track, der natürlich keine Beleidigung ist, sondern wirklich von einem Jungen erzählt, dessen Mutter als Prostituierte arbeitet. Wie bist du da konzeptionell vorgegangen?
Auf der letzten Platte hätte ich wahrscheinlich im Detail erklärt, warum der Begriff „Hurensohn“ so problematisch ist. Stigmatisierung von Sex-Arbeit, Diskriminierung, Doppelmoral und so weiter. Das wollte ich eben nicht. Also habe ich es umgedreht und aus einer kindlichen Perspektive eine Geschichte erzählt, die dahinterstecken könnte. Ein Versuch, das zu normalisieren.

Sind die Innovationen auf dem Album in einem besonderen Arbeitsprozess entstanden, der anders war als bei den Alben davor?
Ich habe sonst oft im stillen Kämmerlein geschrieben. Diesmal habe ich in der Konzeptionsphase viel mit Leuten geredet. Dadurch habe ich den Prozess geöffnet und mich an die Themen rangetraut. In einem Gespräch mit Margarete Stokowski ging es darum, wie die Kultur weiterhin auf die deutsch-deutsche Geschichte reagiert und was die Gegenwartspolitik macht. Das musste einfach der Refrain von „Für immer“ werden, weil das Gespräch so eindrücklich war.

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Apropos Gegenwartspolitik. In „Q1“ thematisierst du die anstehende Bundestagswahl. „Einsame Insel oder Untergrund“ heißt deine überspitzte Antwort auf die aktuelle politische Situation. Was müsste passieren, damit wir uns im September nicht zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen?
Es ist wahrscheinlich eher Pest und eine sehr beschissene Grippe. Die Asylverschärfungen im vergangenen Jahr kamen nicht von der AfD, sondern von einer schwarz-roten Regierung. Und wenn man schaut, wo die CSU gerade ist, steht am Ende des Tages der eine Stuhl neben dem anderen. Ich stehe keiner einzigen Partei kritiklos gegenüber. Trotzdem gehe ich wählen. Der Politisierungsprozess während des Wahlkampfes hat auch etwas Positives, weil die Leute sich für bestimmte Themen öffnen. Ich lege meine Hoffnung nicht in das „Heil“, das aus dem Bundestag kommt.

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Hoffst du eher, dass die Wähler reflektierter werden, weil sie sich mit Parteiprogrammen auseinandersetzen und sich positionieren müssen?
Politik muss nicht mit der Stimmabgabe abgegolten sein. Es gibt viele Möglichkeiten, tätig zu werden. Seien es gewerkschaftliche Arbeit, NGOs oder einfach eine politische Debatte in der Familie. Zu sagen: Ich spreche jetzt mit meiner Umwelt darüber. Damit der Dialog nicht zwischen Politikern und Bevölkerung stattfindet, sondern auch untereinander. Wenn Leute Bock haben, das zu ihren Themen zu machen, ist doch eine ganze Menge gewonnen.

„Ich kann auch sagen: Wenn ich ihm auf die teuren Sneakers kotze, dann war das Kunst.“

Wenn du ein Bundestagsmandat hättest, was stünde ganz oben auf der Agenda?
Die ganze Abschiebungsthematik und die Frage, wie Integration funktionieren kann. Flüchtlingspolitik ist für mich gerade so das Brennendste. Die Leute müssen aus unzumutbaren Zuständen geholt werden. Sei es die Reaktionsgeschwindigkeit von Behörden bei der Verarbeitung von Asylanträgen, Familienzusammenführungen. Es geht nicht um ein bisschen besseres Essen in der Notunterkunft, sondern um Bildung, Mobilität, Kultur, Wohnung.

Viele deiner männlichen Kollegen halten noch an klischeehaften Rapper-Attitüden fest: Posieren vor dem Sportwagen, frauenfeindliche Lines, allgemein Diskriminierung. Kollegah rechtfertigte sich gerade gegen Sexismus- und Antisemitismus-Vorwürfe, er bediene sich nur der „Kunstform des Battlerap“. Zieht das Argument bei dir?
Wer so konservativ ist, sollte sich nicht als großer Rebell hinstellen. Das ist so ein Todschlagargument mit der Kunstfreiheit. Ich kann auch sagen: Wenn ich ihm auf die teuren Sneakers kotze, dann war das Kunst. Wenn Leute sich dafür entscheiden, mit Kunstfiguren zu arbeiten, wird natürlich gefragt, wo die Figur anfängt und aufhört. Du kannst mich auf jede Zeile festlegen. Es gibt keine Bühnenfigur, die das eine sagt, und eine Sookee, die das andere sagt.

Trotz fehlender großflächiger Label-Unterstützung machen sich mehr und mehr talentierte weibliche MCs einen Namen. Wie nimmst du die Entwicklungen in der HipHop-Szene wahr?
Leider arbeiten viele Labels nach dem Schlumpfhausen-Prinzip. Keines hat mehr als eine Frau gesigned. Es gibt aber unheimlich viele tolle Frauen. Pilz hat jetzt noch mal einen politischen Zuschnitt, Fiva macht nach wie vor Mucke. Gerade ist Tice meine absolute Favoritin. Tolle Stimme, toll was zu sagen. Auch aus der queerfeministischen Bubble machen weniger bekannte Rapperinnen ihren Weg. Ich spüre da null Konkurrenz-Gefühle, ich freue mich über jede, die da ist.

Foto: Eylül Aslan

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Kategorien Interview Kultur Musik

Schreiben ist meine Neurose. Ich mache das wirklich nicht freiwillig. An pathologischer Schreibwut leide ich etwa seit meinem neunten Lebensjahr. Heute bin ich 24. Sie äußert sich in der übermäßigen Produktion von Texten, dabei reagiere ich sensibel auf gute Geschichten. Schreiben ist mein Plüsch–Airbag gegen Schleudertraumata im täglichen Gedankenkarussell, Weckglas für klebrig-süße Memoirenmarmelade und die doppelte Aspirin am Morgen nach einem exzessiven Empfindungsrausch. Ich habe eine Schwäche für Präpositionen mit Genitiv, Schachtelsätze und Ironie. In die Redaktion komme ich nur, weil es da umsonst Tee gibt.