Interview

Interview mit FU-Prof. Bernd Ladwig: „Viele übersehen, dass ihr eigenes Lebensmilieu nicht der Nabel der Welt ist“

Berlin wird oft als ziemlich liberal, alternativ und links angehaucht beschrieben. Vor allem auf die Studierenden der Hauptstadt sollen diese Attribute zutreffen.

Bernd Ladwig ist Professor für politische Theorie und Philosophie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, dem vermeintlich linksten Institut Deutschlands. Spreewild hat sich mit ihm über das OSI und studentische Weltanschauungen unterhalten.

Das OSI gilt als linkstes Institut Deutschlands. Zu Recht?
Ich weiß nicht, ob es das je galt. Im Gefolge der 68er-Bewegung fanden am OSI eher undogmatische linke Wissenschaftler eine Beschäftigung, in Bremen oder Marburg hingegen ging es verstärkt orthodox-moskautreu zu. Heute denke ich, dass der Lehrkörper im Schnitt irgendwo zwischen SPD, Grünen und Linkspartei angesiedelt ist, mich selbst als Mitglied der Grünen eingeschlossen. Bei den Studierenden ist es ähnlich. Allgemein ergeben sich aber nicht mehr so scharf geschnittene ideologische Linien wie noch vor 30 Jahren.

„Die meisten Studierenden könnte ich wohl erst mit sexistischen Witzen so richtig provozieren.“

Gehen Studierende heute anders mit ihrer politischen Meinung um, als sie es früher getan haben?
Der größte Unterscheid ist, dass früher die Lehrveranstaltungen von den Studierenden sehr stark unter politisch weltanschaulichen Gesichtspunkten gescannt und zum Teil kritisiert wurden. Jetzt reduziert sich das zumeist auf die zaghaft vorgebrachte Frage, ob man nicht mehr Frauen oder mehr nicht-westliche Perspektiven einbringen könne. Die meisten heutigen Studierenden könnte ich wohl erst mit sexistischen Witzen so richtig provozieren.

Inwieweit haben Sie das Gefühl, dass sich manche Studierende eine eigene pseudolinke Parallelwelt mit Schwerpunkt auf Political Correctness erschaffen?
Es gibt in der Tat Versuche, die Sprache von historisch bedingter Ungerechtigkeit zu reinigen, was so weit gehen kann, dass sie nicht mehr wiedererkennbar ist. Man sollte sich fragen, ob nicht genau das es erschwert, nach außen hin überhaupt noch kommunizieren zu können und die Menschen zu erreichen. Des Weiteren denke ich, dass viele Leute übersehen, dass ihr eigenes Lebensmilieu nicht der Nabel der Welt ist und viele Vorgänge eben nicht in ihrer Blase erfolgen.

Bernd Ladwig, Professor für politische Theorie und Philosophie am OSI. Foto: FU Berlin

Ist die Studentenschaft allgemein eher in eine extremere Richtung gerückt, indem sie einen Absolutheitsanspruch auf die eigene Meinung hat?
Nein. Diejenigen, die sich im politischen Dauererregungszustand befinden, scheinen mir eher in der Minderheit zu sein. Zu meiner Studienzeit gab es am OSI Anhänger von Stalin, Mao Zedong und Pol Pot, also extrem totalitären Figuren und das findet man heute nicht mehr so vor. Es gibt natürlich Themen, bei denen sich manche sehr schnell im Recht fühlen, andere zum Schweigen zu bringen, etwa Faschismus und Sexismus. Eine Diskussionskultur muss an einer Universität möglich sein, gleichwohl sind manche Meinungen eben nicht tolerierbar bzw. verhandelbar.

Sind mehr und mehr Studierende bloße Modelinke, die dazugehören wollen?
Konformismus ist ein ganz normales menschliches Verhalten, das in diesem Fall eben auf linken Konformismus hinausläuft. Es klingt jetzt etwas abgeschmackt, aber wenn die heutigen Studenten später ins Berufsleben eintreten und mit Alltagssorgen konfrontiert werden, so verschieben sich viele Vorstellungen, sie werden oft konservativer. Man muss Geld verdienen, studiert nicht mehr selbstzweckhaft, das ist ganz normal.

 Auf dem Unigelände sind viele Bäume mit Plakaten vermeintlich linker Gruppierungen zugetackert. Haben Sie das Gefühl, die Botschaften dieser Plakate machen Sinn?
Ich habe ja immer den Eindruck, dass viele dieser Plakate eher von auswärtigen Aktivisten angebracht werden. Irgendwelche trotzkistischen Gruppierungen, die in einer vollkommen weltabgewandten Sprache sagen, dass die internationale Arbeiterklasse wolle, dass sich die Imperialisten aus dem Irak zurückziehen sollen, solcher Quatsch einfach. Also Dinge, die mit einem soziologisch aufgeklärten Marxismus, der empirisch auf der Höhe der Zeit ist, nichts zu tun haben.

Wie sehen Sie die Antifa, die ja auch an der Uni einige Anhänger hat?
Sie ist schon wichtig, vor allem in Gegenden, in denen Neonazis eine regelrechte Hegemonie haben. Das ändert aber nichts daran, dass das Thema Faschismus auch besonders autoritäre Figuren in der linken Szene anzieht, die dann ihre intoleranten, antidemokratischen Haltungen damit bemänteln, dass sie ja nur wegen des Faschismus so seien. Das ist eine im Antifaschismus angelegte Gefahr, wobei die größere Gefahr aber meines Erachtens immer im Faschismus selbst liegt.

„Die einzig attraktive Weise links zu sein, ist, linke und liberale Positionen zu kombinieren.“

Werden oftmals liberale Tendenzen mit Linkssein verwechselt?
Die einzig attraktive Weise links zu sein, ist, linke und liberale Positionen zu kombinieren. Autoritäre Linke sind zu recht diskreditiert. Eine Kritik könnte jetzt sein, dass bei vielen Linken die Prioritäten durcheinander geraten sind. Sie versteifen sich so auf Fragen der Sprachregelung und der Symbolik und vergessen darüber die politisch wichtigeren Fragen der sozialökonomischen Stellung der Armut und der Arbeitslosigkeit. Aber die Sprache ist natürlich auch wichtig. Gleichheit muss auch im Alltag spürbar sein, darf nicht nur auf das Papier beschränkt sein. Somit ist die Sensibilität für die Gefahren herabsetzender Sprache per se auch links.

Wie sehen Sie die Konkurrenz der Linkspartei mit der AfD um die sozial schwächeren Schichten der Bevölkerung?
Die AfD spricht ja nicht nur Unterschichtswähler an, sondern alle sozialen Schichten und bietet scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme. Aber gerade weil viele Probleme schwer zu bewältigen sind, darf man sich nicht von den einfachsten Lösungen ködern lassen. Für Linke ist natürlich genau der Aspekt beunruhigend, dass unter denen, die man aufgrund des Gleichheitsgedankens traditionell zum Kernklientel zählt, also den einfachen Arbeitern und Arbeitslosen, überdurchschnittlich viele rechte Parteien wählen.

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